Archiv der Kategorie 'bei Jill und Stuart'

arrival orientation

Sonntag, den 15. Juli 2007

5.45 Uhr. Der Wecker klingelt, obwohl ich schon – wie üblich – aufgewacht bin, als Stuart und Jill zum Milken gegangen sind. Und das ist schon eine Weile her. Heute ist die arrival orientation in Melbourne. Sie beginnt zwar erst um 10 Uhr, aber weder Jill noch Stuart können mich dorthin bringen, weil sie auf der Farm zu tun haben. Dafür nehmen mich die Gasteltern einer anderen Austauschschülerin, die auch mit mir geflogen ist, mit.
Um zwanzig vor sieben ist Abfahrt nach Shepparton, Jill kommt gegen viertel vor hektisch zum Haus gelaufen und muss dann aber nochmal kurz hinein und dann soll Miss, eine der Hündinnen, noch ihr Geschäft verrichten. Ich finde es wirklich erstaunlich, dass sie das auf den Befehl „go to toilet“ auch anstandslos tut. Sofort.
Kurz nach sieben Uhr kommen wir in Shepparton an und weil noch nicht alle fertig sind, werde ich noch hinein gebeten. Ich sehe Lara wieder, neben der ich schon in Frankfurt im Vorbereitungsseminar eine Zeit lang saß. Und ich sehe Hanna(h?) und Tim, die zwei Kinder der Familie. Und zwei äußerst zuvorkommende Eltern. Wieder zwei Australier ohne diesen mürrischen Blick, den Stuart meist aufsetzt. Hat doch auch was irgendwie, so ein paar freundliche Gesichtszüge.
Und ich muss wieder an den Spruch „it’s not better, it’s not worse, it’s just different“ denken. Lara hat ein warmes – aufgeräumtes – Haus, einen Pool, zwei Pferde direkt nebenan und was weiß ich, was noch alles. That’s life.
Die Fahrt nach Melbourne nutzen Lara und ich, um ein paar deutsche Worte zu wechseln, während alle anderen schweigend die wechselnd gute Aussicht genießen. Ich bemerke erstaunt, dass der drive in in Australien nicht drive in, sondern drive through heißt – was ja irgendwie auch wesentlich sinnvoller ist.

BurgerKing Drive-In auf Australisch

Vielleicht traut man uns Deutschen nicht zu, zu wissen, was das Wort „through“ bedeutet und hat es deshalb abgeändert? Und ich sehe wieder einmal einen ALDI. Wenn ich Zeit habe – und auch irgendwen, der ein Auto hat und der auch Zeit hat – muss ich unbedingt einmal dort hineinschauen und gucken, was dort so angeboten wird.Als wir schließlich ankommen, sind wir just on time, als wir das Universitätsgelände betreten. Unser Weg führt uns, ganz ohne jeglichen Wegweiser durch ein Eingangsgebäude und einen Innenhof in ein alterwürdiges Gebäude mit viel Holz
Die arrival orientation selbst gestaltet sich in gewohnter Seminarmarnier – sei es nun Eltern-, Vorbereitungsseminar oder sonst ein anderes. Nach einer Begrüßung geht es in die Gruppenarbeit. Diesmal sollen wir eine Karte von Australien zeichnen. Mein Sitznachbar, auch ein Deutscher, zeichnet ganz exzellent die Küste und hilft mir dann, die Staaten und Territorien einzuzeichnen. Auf der anderen Seite von mir sitzt eine Schwedin, die sich an einigen Hauptstädten versucht. Einige Austauschschüler weiter und einige Runden später ist die Karte noch immer nicht fertig, aber wir werden angehalten, zum nächsten Teil der Veranstaltung zu kommen.

arrival orientation

Außer den verschiedenen Gruppenarbeiten (mit gemischten Nationen und auch sortiert) gibt es noch Lunch: Sandwiches und eine Art Jugendherbergssaft mit einem ganzen Haufen Eis. Man stelle sich das vor: Ich sitze dort im Pullover ungefähr sechs Meter von der Tür entfernt und wünsche mir nicht sehnlicher, als dass man sie schließt.
Was wir außerdem noch taten, war genau wie das, was wir in Frankfurt vor der Abreise taten – wir schrieben einen Brief an uns selbst und taten ihn in eine „Zeitkapsel“. Ich zog es vor, das Programm der orientation in die Kapsel zu tun, vielleicht kann ich ja bei dem Treffen vor der Abreise etwas damit anfangen.
Außerdem gibt es noch einen Vortrag über allerlei australische Gegebenheiten von einer Dame, die uns mit einem amerikanischen Akzent Abwechslung beim Zuhören verschafft, dafür aber derart laut in ihr Mikrofon spricht, dass unsere Trommelfälle diese Abwechslung nicht wirklich genießen können. Sie stellt das Schulsystem als ein Schulsystem vor, das ausschließlich aus Gesamtschulen besteht. Die Kurse seien üblicherweise in der Größe zwischen 24 und 26 Schülern, mehr als 26 sei zumeist per Gesetz verboten. Koorperatives, individuelles Lernen sei meist anstelle von Frontalunterricht an der Tagesordnung. Klingt wie die Qualitätsmerkmale für gute Schule in Niedersachsen.
Einige Tipps gibt man uns mit auf den Weg, beispielsweise den Antrag für eine spezielle Karte, mit der Schüler und Studenten Vergünstigungen in Bus, Bahn und an anderen Orten erfahren können. Macht allerdings natürlich nur Sinn, wenn ein Bus oder eine Bahn in der Nähe abfährt, beziehungsweise überhaupt irgendetwas in der Nähe ist. Sollte man dann doch mal die Möglichkeit haben, einen Bus zu benutzen und würde seine Füße auf den gegenüberliegenden Sitz stellen, so koste einen der Spaß gleich einmal 100 australische Dollar. Wir sollten also nach Möglichkeit davon absehen.
Unsere Versichertenkarte der medibank sollten wir bereits in den letzten Tagen erhalten haben, was bei einigen auch der Fall war. Ich vermute, zu uns braucht die Post länger. Dann bekamen wir noch ein Codewort für absolute Notfälle für Anrufe bei der SCCE-Hotline. Das students handbook zählt auch einige Szenarien auf, für die es gedacht ist: Häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe. Der vortragende managing director von SCCE nannte außerdem alles, in das die Polizei verwickelt sei oder im Begriff sei, verwickelt zu sein, einen Grund, das Codewort zu nennen. Bei der Drucklegung des students handbook schien allerdings noch ein anderes Codewort aktuell gewesen zu sein. Und alle, die es noch nicht gelesen haben, sondern es vielleicht später tun werden, werden wohl ein wenig verwundert sein. Das mag in den allermeisten Fällen gutgehen, aber in den wenigen, in denen es das nicht tut, können die Auswirkungen katastrophal sein.
Und dann habe man noch eine Ausfertigung der SCCE-Regeln für uns. Eine ganz tolle Sache, diese Regeln. Nur, dass wir sie schon mindestens zwei Mal hier in Australien bekommen haben und die STEP IN-Regeln sehr ähnlich sind. Ein Österreicher an meinem Tisch hatte sie sogar sage und schreibe acht Mal erhalten.

Neben dem Seminarprogramm und den Gruppenfotos ist noch gut Zeit, sich mit den anderen Austauschschülern zu unterhalten. Und ich muss sagen, das ist eigentlich der wesentlich interessantere Teil der gesamten Veranstaltung. Und es stellt sich dabei heraus, dass alles „just different“ war. Von 10-Monats-Austauschschülern, die ihre Zeit in Australien auf fünf Monate reduzierten und welchen, die direkt im Haushalt des managing directors von SCCE untergebracht waren („nur für ein paar Wochen“) bis hin zu welchen, die jeden Tag bis elf Uhr schliefen, welchen, die vier Gastgeschwister haben oder welchen, die die vergangenen drei Tage nahezu ausschließlich mit Shoppen mit ihren Gastmüttern verbracht haben, ist alles vertreten. Wenn ich erzähle, dass ich auf einer Farm bin, sind die meisten Austauschschüler zunächst begeistert gewesen („Oh, eine Farm! Wie cool!“), wenn ich dann aber berichte, wie ich morgens, wenn die anderen noch schlafen, Holz hacke und dass wir keine Heizung haben, sondern nur einen Kamin, legt sich die Begeisterung schnell, was ich auch nicht sehr verwunderlich finde offen gestanden.

Nach der arrival orientation treffen wir noch Freunde der Gastfamilie von Lara in einem Cafe in Melbourne. Und mir geht wieder einmal auf, dass das Treffen von verschiedenen Australiern und das Sehen verschieder Plätze von Australien etwas ist, das mir hier fehlt. Ebenso werde ich nicht mit meiner Gastfamilie in den Urlaub fahren, so wie es mindestens eine handvoll Austauschschüler, mit denen ich gesprochen habe, tun.
Während des Gespräches stellt sich heraus, dass die Australier anscheinend keine Salzstangen kennen. Ich suchte das Wort im Wörterbuch und erklärte es ihnen, aber Laras Gastmutter dachte an eine Brezel. Ich trinke eine heiße Schokolade. Eine ganz normale, während es in dem Cafe ungefähr zehn verschiedene CocoDrinks, also Kakaokreationen gibt. Als wir das Cafe wieder verließen, sah ich unter einem unauffällig im Vordach verborgenen, aber deutlich spürbaren Wärmestrahler jemanden mit einer Cola sitzen. Draußen. Mit Eis. Und ich war wieder einmal erstaunt, was für Sachen es doch gibt.

Auf der Fahrt zurück nach Shepparton holte der Schlaf mich ein, noch bevor wir auf dem Freeway waren. Wir machten an der selben Raststätte Halt wie am Mittwoch, als Jill mich vom Flughafen abholte. Obwohl ich im Auto sitzen bleibe, weil mir kalt ist und ich gerne schlafen möchte, bekomme ich etwas zu Essen: Laras Gastmutter bringt einen Becher (Becher, nicht Tüte!) Pommes Frites mit, den wir Kinder uns teilen. Danach schlafe ich irgendwann wieder ein, bis Lara mich antickt, als wir gerade in die Einfahrt einbiegen.
Wir gehen ins Haus und es ist ein wenig kalt. Laras Gastvater macht die Heizung (anscheinend eine in der Wand eingelassene Gasheizung) an und ihre Gastgeschwister versuchen sich gegenseitig den Platz davor streitig zu machen. Dann geht plötzlich das Licht aus. Zuerst denken wir an einen Stromausfall, aber dann fällt uns auf, dass die Uhr am Ofen und an der Mikrowelle noch an sind. Tim und sein Vater gehen gucken und wenig später funktioniert wieder alles, wie es soll.

Um es noch ein wenig wärmer zu kriegen, machen wir den Ofen an. Interessantes Wort übrigens, das „wir“. Habe ich das eigentlich schon mal im Bezug auf Jill und Stuart benutzt? Es ist nicht so, dass ich daran beteiligt gewesen wäre, es ist nur das Wir-Gefühl. Just something to think about.
Interessant ist auch, dass das Holz gemeinsam geholt wird – von Laras Gastschwester und ihrem Vater. Als das Feuer lodert, kommt Tim herein und bringt uns alle zum Lachen, als er unvermittelt fragt: „Does anyone just wanna play Poker?“. Er, Lara und ihr (Gast-)Vater beginnen eine Runde zu spielen und für meinen Geschmack viel zu früh steht plötzlich Stuart im Wohnzimmer. Ich hätte gerne noch ein wenig bei ihnen verweilt, aber bis zu dem Zeitpunkt, als Stuart es dann erwähnte, wusste ich nicht, dass auch ich morgen keine Schule haben würde.

Als ich später von dem Tag erzähle, meint Jill noch „and you don’t have anyone here“. Abends denke ich darüber nach. Es ist schon irgendwie ein komisches Gefühl. Nicht, dass ich Heimweh hätte. Es ist nur … einerseits die Kälte. Und dann auch noch die Kälte.
Erwähnte ich schon, dass Stuart, als ich die Pläne meines Amateurfunkfreundes, am Samstag einmal vorbeizusehen und sich vorzustellen, mitteilte, gleich Gedanken kundtat, ob er nicht vielleicht ein Terrorist sei? Eine sehr tolle Sache, solche Kommentare, wenn man gerade dabei ist, herauszufinden, was Normalität für seine Gastfamilie bedeutet.

ein Schritt zum Internet

Samstag, den 14. Juli 2007

Nachts um zwanzig nach zwei, nach 6 Stunden Schlaf wache ich auf. Mir ist ein wenig kalt, aber nicht mehr so kalt wie zuvor, seitdem ich jetzt noch mit einer Wolldecke schlafe. Ich höre irgendjemanden durchs Haus geistern und schlafe wieder ein.
Gegen 6 Uhr wache ich noch einmal auf. Wie ich später erfahre, geht Jill mit ihrer Nichte und ihrem Neffen zum Melken und Kühe füttern. Ich stehe um kurz vor acht Uhr auf und genieße wieder einmal eine warme Dusche. Überwiegend warme Dusche. Meist warme Dusche. Eine Dusche halt. Eine Dusche, die einen Hahn für Warmwasser und einen für kaltes besitzt. Eine Dusche, deren Wassertemperatur sich allerdings die meiste Zeit danach richtet, ob gerade heißes Wasser von dem (übrigens draußen stehenden) Boiler angeliefert wird und die daher beständig zwischen heiß und kalt wechselt. Und eine Dusche, die man nicht abstellen kann, ohne die Temperatureinstellung zu verlieren. Das ganze in einem Badezimmer fast noch kälter als das restliche Haus. Das Ding, was ich bislang für eine kaputte Leuchtstoffröhrenhalterung gehalten habe und was sich nun als Wärmestrahler entpuppt hat, ist nämlich bislang immer ausgeschaltet gewesen. Noch bin ich damit beschäftigt, herauszufinden, wie man all das mit „Nothing is better or worse, it’s different.“ vereinen kann. Ich werde mich wieder melden, wenn ich es herausgefunden habe.

Um halb neun komme ich an den Frühstückstisch, alle anderen sind bereits fertig. Stuart meint, es sei ja schon fast Nachmittag. Ich esse unbeirrt eine Schale Müsli und auf einmal stoßen Jill und er dazu. Als ich fertig bin, isst Jill noch immer. Ihr Mahl wird jedoch jäh unterbrochen, schuld ist ein Kalb. Oder die Kuh. Oder auch beide. Das Kalb steckt in der Kuh und möchte gerne raus, aber kann nicht. Stuart und Jill versuchen, bei der Geburt behilflich zu sein, aber es klappt nicht. So entschließen sie sich, den Tierarzt zu rufen.
Jills Schwester, deren Mann und Kinder verabschieden sich nun. Morgen sind sie auf einem sechzigsten Geburtstag eingeladen, am Montag beginnt die Schule wieder und sie haben einige Kilometer vor sich.
Wir setzen uns noch ein wenig in die Küche, umgeben von nur noch zwei Hunden. Gegen zwanzig vor Elf kommt der Tierarzt oder vielmehr eine Tierärztin und eine geschätzte knappe halbe Stunde später ist das Kalb, wo es hingehört: Draußen.

Kuh und Kalb

das Kalb ist draußen

Jill säubert seine Atemwege, dann leckt die Mutter es trocken. Ihm werden in den nächsten Tagen und Wochen noch viele folgen.

Kuh und Kalb

Kalb

Dann hole ich Holz für den Kamin. Eines der Stücke zeigt sich doch etwas sehr widerspenstig und ich brauche beinahe zehn Minuten, um ihm Herr zu werden.

Holz

Wieder im Haus, gibt es erst einmal ein Mittagessen, heute ist das Vernichten der Reste angesagt, also freie Auswahl. Ich gucke mir zum ersten Mal meine Spanischbücher näher an und bin doch etwas frustriert darüber, dass das mit der Aussprache schwierig werden könnte… Stuart sieht ein Footballspiel und ich nicke darüber ein, während Jill die Wäsche wäscht. Nebenbei: Eine sehr interessante Sache – die Waschmaschine hat die Einstellungen „cold“, „warm“ und „hot“ und Jill wäscht auf „cold“.
Als ich wieder aufwache, schicken sich Stuart und Jill gerade an, die Kühe zu melken. Ich bleibe noch ein wenig im Haus und versuche noch einmal, meinen Funkfreund zu erreichen. Heute habe ich Glück und erwische ihn unter seiner Handynummer. Er wird mir behilflich sein in Sachen Internet und Handy und zunächst für mich einen günstigen Internetprovider recherchieren. Am Samstag würde er auch einmal vorbeikommen oder mit mir nach Shepparton fahren, um ein Prepaid-Handy zu besorgen. Das sind doch ganz gute Aussichten.
Nach dem Telefongespräch folge ich den beiden nach draußen und füttere dann erst die einzelnen Kälber und dann die Herde selbiger.

Kalb

Das Futter kommt heute nicht wie gestern aus dem Eimer, sondern direkt aus dem Silo. Und ich kriege einen ersten Crashkurs in Sachen Melken.

Melkstand

Mittlerweile habe ich auch die Schokoladenregel verstanden. Ich habe nämlich ein Stück der Schokolade probiert und herausgefunden, dass sie so kakaohaltig ist, dass Jill mit „one chocolate“ höchstwahrschenlich ein Stück meinte.
Die Gebühren für mein Amateurfunkrufzeichen hier in Australien werde ich wohl am Besten als Scheck oder Zahlungsanweisung an den Mann, oder vielmehr an die Fernmeldebehörde, bringen. Überweisungen seien recht teuer, meint Jill.
Während des Essen fällt mir zum wiederholten Male die Bezeichnung „salt reduced“ auf der Butter auf und ich finde es immer noch erstaunlich, dass die offensichtlich gut gesalzene Butter schon reduziert ist. Mein Bedarf, die normal gesalzene Butter zu essen, ist dementsprechend gering.
Im Anschluss an das Essen spreche ich noch mit meinen Gasteltern über Dinge wie EF, meine SCCE-Betreuerin und meine häuslichen Aufgaben. Ich werde (fast wie zu Hause) für das Altpapier zuständig sein – mit dem Unterschied, dass in die Altpapiertonne hier auch Papier, Pappe, Glas, Dosen, Plastik hineinkommen – einfach alles. Das könnte man in Deutschland ruhig auch mal einführen. Außerdem werde ich mich weiterhin um das Holz kümmern. Ist ja auch irgendwie in meinem Interesse, das es warm bleibt hier drinnen. Außerdem sprechen wir noch über die Familie, die mich morgen nach Melbourne mitnehmen wird und auch einen Austauschschüler hat (oder vielmehr eine Austauschschülerin, auch über STEP IN/SCCE), und über die Nachbarn. Wobei Nachbarn ein recht großes Wort ist hier in Australien. Sie wohnen meist nur einen Block entfernt, aber das ist mal eben eine Meile.
Ich plaudere noch ein wenig mit Jill, sie zeigt mir ein Fotoalbum der vorhergehenden Austauschschülerin, während Stuart sich schon dem Fernsehen widmet. Als ich mich anschicke, ins Bett zu gehen, schickt sich eines der Kälber an, geboren zu werden und eine Fernsehsession wird zwangsläufig unterbrochen.
Als beide von draußen zurück sind und vorm Fernseher sitzen, gehe ich zu Bett. Mein Wecker wird um viertel vor sechs klingeln, morgen ist die „arrival orientation“ in Melbourne und um zwanzig vor sieben ist Abfahrt in Richtung Shepparton.

Freitag der dreizehnte

Freitag, den 13. Juli 2007

Ich wache zwischen sechs und sieben Uhr auf, aber bleibe noch bis halb acht liegen, bis ich mich dazu aufraffe, aufzustehen. Die anderen sind auch schon alle auf und frühstücken, während ich mit einem Glas Milch vorlieb nehme und Jill das Haus verlässt.
Nach dem Frühstück fahre ich mit dem Mann von Jills Schwester nach Numurkah. Er werkelt dort mit ihrem Vater an seiner Motorsäge und dessen Computer. Ich besorge mit Jills Mutter meine Schuluniform bei „McPherson’s Mensland“: Zwei Hemden, einen Pullover, eine Hose. Das muss für den Anfang reichen. Zurück bei Jills Eltern hole ich das Frühstück mit zwei Toasts nach und habe das erste Mal seit dem Flughafen in Singapur die Möglichkeit, meine E-Mails zu lesen. Während ich den Spam aussortiere, erfahre ich, dass es bei Jill wohl nicht möglich sei, eine Breitbandverbindung zu bekommen. Und aus irgendeinem Grund funktioniere auch kein Breitband über Funk. Verflixt. Ich habe eine E-Mail von dem Funkamateur aus Shepparton erhalten, mit dem ich auch schon zuvor in Kontakt stand. Er bittet mich um einen Rückruf.

Als wir zurückkommen, verziehe ich mich kurz in mein Zimmer, um dann mit den Kindern und ihren Eltern auf eine nahegelegene Weide zu fahren, wo wir einige Äste zersägen und dann sortieren: Holz für den Kamin und Holz für das Lagerfeuer.

Weide

Ich habe selten ein Feuer so schnell brennen sehen wie dieses. Der Wind war stark und wir hatten Mühe, es anzubekommen, aber dann brannte es lichterloh. Wir lassen es brennen und kehren zurück auf die Farm, um zu Mittag zu essen. Hotdogs klingt zunächst nach einem gewohnten Essen. Wenn dann allerdings die Würstchen in einem penetranten Blutwurstrot gehalten sind, kostet es doch etwas Überwindung, sie – so ganz ohne Mayonaise, Ketchup und Röstzwiebeln, sondern stattdessen mit irgendeinem Chutney – zu essen. Aber schlussendlich ist es mir doch gelungen. Nach dem Essen bringen wir dem Mann von Jills Schwester einige Sandwiches, aber er ist schon auf dem Rückweg. Ich freunde mich mit den Pferden an, mache ein paar Fotos und hole Holz, um dann noch einige Erinnerungen am Laptop festzuhalten. Beispielsweise die Frage von Jills Neffen: „Do you have cows in Germany?“

Noch extremer, als ich es mir ohnehin schon vorgestellt habe, ist hier die Benutzung des „How are you?“ oder noch öfter „How are you doing?“. Und wie erwartet, reicht ein „Fine, thanks.“ völlig aus. Wenn es hochkommt, folgt darauf dann noch ein „good“, aber das ist schon recht selten. Die Verabschiedung erfolgt meist mit einem unverbindlichen „See ya!“.

Später versuche ich noch, den Funkamateur über seine Handynummer zu erreichen, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund klappt das nicht. Wähle ich die Nummer über meine CampusCard richtig, klingelt es nicht – wähle ich sie falsch, weist mich eine Computerstimmt zurecht.
Am Abend zeige ich noch einige Fotos, unter anderem vom Besuch der Emma Maersk in Bremerhaven im September 2006, den Pferden und meiner Familie und gehe noch früher als sonst ohnehin schon zu Bett: Um 8 Uhr, eine halbe Stunde bevor (anders als in Deutschland) hier der Spielfilm beginnt.

the first day

Donnerstag, den 12. Juli 2007

5.47 Uhr. Kein Wecker klingelt, aber wach bin ich trotzdem. Ich weiß nicht, warum – in Deutschland ist es schließlich kurz vor 22 Uhr. Ich denke an die letzten Tage, die Reise und die Menschen, die mich auf ihr begleitet haben. Gefühlte Stunden später schlafe ich wieder ein, bis mich Jill um halb zehn weckt.
Zum Frühstück esse ich zwei Toasts mit Erdnussbutter. Hat auch irgendwie etwas, creamy peanut butter, obgleich ich die crunchy-Version von zu Hause gewöhnt bin. Die gute aus Amerika…

Jill gibt mir Post von SCCE, zwei Umschläge mit vielen Informationen: Ein 20-seitiges Handbuch soll mir den Weg weisen durch den Regeldschungel, den Kulturstress und all die anderen Dinge. Ich bekomme eine weitere Ausfertigung der Regeln von SCCE, einen Flyer mit Informationen und einem „arrival report for SCCE international students“. Drei bunte Blätter sind prall gefüllt mit Informationen über die verschiedenen Aktivitäten in Victoria in diesem Jahr und über die zwei Reisen, die SCCE in Australien anbietet: Eine Reise in den Norden Queenslands, unter anderem zum Great Barrier Riff, im November und eine nach Zentralaustralien, unter anderem zum Ayers Rock (oder Uluru, wie die Aborigines ihn nennen), im April kurz vor der Ausreise. Der obligatorische SCCE-Werbeprospekt rundet das Paket ab.
Außerdem wird noch zur „arrival orientation“ geladen, die für alle Austauschschüler verpflichtend ist. Sie findet am kommenden Sonntag in Melbourne statt. Weil Jill und Stuart auf der Farm arbeiten müssen, werde ich von den Gasteltern einer Austauschschülerin in Shepparton mitgenommen.

Um 10.15 Uhr setze ich zum ersten Mal an diesem Tag meinen Fuß vor die Tür. Auf dem Rasen liegt Tau und es ist kalt.

Blick die Straße herunter nach Shepparton

Wir fahren nach Shepparton, um dort in einem Second-Hand-Laden („odd shop“) einige Kleidung für mich für die Farmarbeit zu besorgen. Kurze Zeit später verlassen wir schwer bepackt und nur um 41 australische Dollar ärmer den Laden. Jill wollte bezahlen: Die „farm clothes“ seien zur Arbeit da und würden schließlich auch auf der Farm bleiben. In einem Fotoladen kaufen wir einen Adapter, meiner passt nämlich in fünf dutzend Ländern der Welt, nur nicht in Australien. In der Fußgängerzone bemerke ich einige Lautsprecher, fest installiert, aus denen Musik erklingt. Kurios.
Dann begeben wir uns in ein Einkaufszentrum und suchen Schuhe für Jills Nichte. Ich entdecke einen Telstra-Laden, vor dem ein Schild Werbung für ein UMTS-ähnliches Internet macht. Einige Schuhläden später essen wir – gemeinsam mit Jills Mutter – bei Subway, um uns dann wieder auf den Heimweg zu machen.

Blick zur Farm von der Straße aus

Auf der Farm sehe ich mich das erste Mal richtig draußen um und helfe dann Jills Nichte und Neffen beim Füttern der Kälber, während Jill und Stuart die Kühe melken. Später gehen wir Stuart bei einer Nachgeburt zur Hand. Als alles erledigt ist, bekomme ich meine erste regelmäßige Aufgabe: Stuart zeigt mir, wo das Holz gelagert wird, das wir brauchen, damit der Kamin jeden Abend lodern kann.
In einer Voliere nahe des Hauses sind 15 Wellensittiche untergebracht. Mir ist absolut unklar, wie die bei diesen Temperaturen draußen überleben können, aber es scheint ihnen gut zu gehen.

Wellensittich in der Voliere im Garten

Auf einer großen Weide sind die meisten der unzähligen Kälber untergebracht, drei haben ein eigens eingerichtetes Strohhotel und sieben weitere ihren eigenen Stall.

Kalb

Auf dem Rasen hinter der Garage steht Rustys Hundehütte, neben der Haustür ist der Zweitwohnsitz: einige Decken

Am Abend überreiche ich Jill und Stuart die Gastgeschenke und bin innerlich noch immer ein wenig verstimmt darüber, dass sich die DVD über Bremerhaven nicht wieder angefunden hat. Dann telefoniere ich mit meiner local coordinator-in. Mehr oder weniger deshalb, weil das SCCE-Willkommensschreiben fordert: „Don’t wait for Charlotte phoning you, call NOW and introduce yourself!“. Jill schüttelt darüber ein wenig den Kopf, schließlich würde Charlotte sich ohnehin in den nächsten Tagen nach mir erkundigen. Und genau das erzählt Charlotte mir auch.

Am Abend schreibe ich die Tagesberichte für die letzten Tage nach – ich habe ja nun endlich Strom für meinen Laptop – und höre deshalb Stuart erst, als er in der Tür steht. Mein Vater hat zurückgerufen, meine zwei Versuche heute und gestern waren nämlich beide auf Anrufbeantworter und Mailbox aufgeschlagen. Endlich erhalte ich meinen PIN für die EC-Karte der Deutschen Bank.
Ich bin müde und möchte ungern wieder so lange schlafen, zumal Jill ihr Missfallen diesbezüglich hat durchblicken lassen, und gehe gegen 22 Uhr zu Bett.

endlich down under

Mittwoch, den 11. Juli 2007

Es ist fünf Uhr Ortszeit, als wir in Sydney landen. Wie oft in den letzten zwei Tagen die Sonne auf und unter gegangen ist, darüber zerbreche ich mir schon seit einiger Zeit nicht mehr den Kopf. Im Flugzeug herrschte ohnehin ein einiger Tages- und Nachtrhythmus, nur unterbrochen durch mal mehr, mal weniger gutes Flugzeugessen.
Als wir in Sydney am Flughafen aussteigen und uns durch den Zoll begeben (eine absolut unkomplizierte Angelegenheit übrigens, ich musste trotz umfangreichem technischem Equipment mit Laptop, Festplatten, Kamera und Funkgerät mein Handgepäck nicht öffnen), nennt mich einer der Zollbeamten „mate“ und ich weiß: Hey, du bist in Australien!
Dann erwarten uns eine Frau und ein Mann von Southern Cross Culture Exchange (SCCE), der Partnerorganisation von STEP IN in Australien. Zwei von uns stehen sogar mit Namen auf ihrem Schild, sie fliegen jeweils mit einem Einzelflug weiter. Noch einmal jemand anders ist gar mit einem mehrtätigen Aufenthalt gestraft, weil die Buchung etwas suboptimal gelaufen ist. Wieder andere finden ihre Gastfamilie in Sydney und werden von ihr abgeholt. Die meisten von uns aber haben noch einen mehrstündigen Weiterflug vor sich – nach Melbourne, Adelaide, Perth oder in eine der anderen größeren australischen Städte.
Ich für meinen Teil fahre nach dem Check-in mit einer Gruppe von ungefähr 20 Steppies mit einem Shuttlebus zum Terminal, von dem aus die Maschine Richtung Melbourne abhebt. Auch an diesem Terminal erwartet uns wieder jemand von SCCE. Wir haben noch einige Stunden Zeit vor uns und so lassen wir uns am Abfluggate nieder, essen, hören Musik und schauen der Zeit in unseren Gastfamilien entgegen. Ich wechsele einen Teil meines Bargeldes in australische Dollar um, putze meine Zähne und ziehe das STEP IN-T-Shirt an. Um 8 Uhr australischer Zeit stimmen wir ein verhaltenes „Happy Birthday“ für einen unserer Mitreisenden an, der Geburtstag hat. Viel zu schnell geht es nur eine gute halbe Stunde später ins Flugzeug, eine kleinere Maschine mit 2-4-2 Sitzen.

Blick aus dem Flugzeug

Ich setze mich auf meinen Platz, die Kamera zwischen meinen Füßen. Dann hebt wohl die Maschine ab, genau sagen kann ich es nicht, aber als ich wieder aufwache, befinden wir uns bereits auf unserer Reiseflughöhe.

Blick aus dem Flugzeug

Der Flug vergeht schnell in einer Art Dämmerzustand, ein Muffin und ein Kaltgetränk werden gereicht, bevor wir dann in Melbourne landen. Direkt am finger holen uns unsere Gasteltern ab. Ich stelle mich in altbekannter Marnier hin und gucke ein wenig umher, in der Hoffnung, dass meine Gastfamilie mich findet. Und das tut sie auch, Jill kommt auf mich zu und begrüßt mich (Um ab dieser Stelle die ausstehende Frage aller angehenden Gastschüler zu beantworten: Umarmung). Stuart ist zu Hause, aber sie hat Mel mitgebracht, einen Freund der beiden. Dann bemerkt Jill wie auch viele der Steppies meinen Reithelm. Wir holen mein Gepäck vom Band, ich verabschiede mich noch von einigen Mitreisenden und dann geht es ins Parkhaus.
Und dort fängt der Spaß erst an, Jill weiß nämlich nicht mehr, wo das Auto ist. Glücklicherweise erinnert sie sich aber noch an das Stockwerk und Mel weiß noch sicher, dass es vom Fahrstuhl aus gesehen am Ende der Reihe stand. Wir laufen nur zwei Mal falsch, bevor wir es dann finden. Jill erzählt mir, dass ich Glück mit dem Wetter habe, am Tag zuvor seien viele Flüge aufgrund von Nebel extrem verspätet angekommen.
Durch den ungewohnten Linksverkehr geht es dann in Richtung Farm. Ich sitze in einem Auto, dessen Tacho nur bis ungefähr 180 km/h geht und wir fahren auch entsprechend, aber die Tempolimits lassen nichts anderes zu und Jill zeigt sich sehr erstaunt davon, dass es in Deutschland Strecken ohne Tempolimit gibt. Unterwegs stoppen wir noch einmal zum Tanken. Jill verspürt Hunger und so nehmen sie und Mel ein Sandwich ein. Wir treffen einen anderen Austauschschüler von STEP IN, der mit seinen Gastgeschwistern und -eltern ebenfalls eine Pause einlegt. Dann geht es weiter, nun mit der Sonnenbrille auf der Nase, denn die Sonne ist wirklich grell. Die anfängliche Neugierde macht langsam dem Schlaf Platz. Wir bringen Mel nach Hause und ich nicke von Zeit zu Zeit ein, bis wir uns der Farm nähern. Jill weist plötzlich auf eine Herde Kühe und sagt, das hier sei bereits ein Teil der Farm. 160 von ihnen werden gemolken, insgesamt sind es ungefähr 300 Tiere. Wir fahren an den zwei oder drei Pferden vorbei, dann hält das Auto und wir steigen aus. Am Eingang liegt Rusty, einer der Arbeitshunde und begrüßt mich freundlich. Drinnen erwarten mich zwei weitere Hunde. Jill erläutert mich einige Regeln des Zusammenlebens (unter anderem eine Schokoladenregel, die ich noch immer nicht ganz verstanden habe) und dass ihre Nichte und ihr Neffe sie heute besuchen kommen würden.

Ich habe mein eigenes Zimmer. Die Farbgebung ist geringfügig gewöhnungsbedürftig, es ist Jills Mädchenzimmer und auch vor mir hat ein Mädchen in ihm gewohnt. Aber ich denke, ich werde mit ihm zurechtkommen.
Dann lege ich mich einige Stunden für ein Nickerchen hin und erwache, als zwei weitere Hunde durch das Haus toben, nebst vier weiteren Menschen. Es ist der erste Tag in Australien, ich bin müde von drei Stunden Fahrt und fünf fließend Englisch sprechende Leute sitzen um mich herum…
Am Abend wird deutlich, dass es Winter in Australien ist. Ich wache gegen 16 Uhr auf und mir ist kalt. Ich ziehe bei dem zeitweise flackerndem Licht meiner Deckenlampe einen Pullover über und setze mich an den Ofen und gucke Fernsehen auf dem Flatscreen-Fernseher. Später genieße ich eine Dusche (obwohl die Dusche dafür eigentlich viel zu klein ist) und fluche über die Armaturen, die nicht nur getrennte Heiß- und Kaltwasserhähne haben, sondern darüber hinaus auch noch kein Ventil zum Regulieren des Wassers, wenn man die korrekte Einstellung für die Temperatur einmal gefunden hat.
Ich will zu Hause Bescheid geben, dass ich gut angekommen bin, aber ich erreiche nur den Anrufbeantworter. Wenigstens ist mir auch dessen Stimme vertraut.
Und dann sinke ich in mein Bett mit der Erkenntnis, dass „bloody“ nach den Artikeln und Konjunktionen wohl das in Australien am häufigsten gebrauchte Wort sein muss…


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