Kommt Zeit, kommt…

Montag, den 30. Juli 2007

„Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Familie“ – diese Überschrift dürfte einigen bekannt vorkommen. Aber vielleicht ist sie ja bald angebracht. Doch dazu später mehr.

Der Tag beginnt für mich heute um drei Minuten vor neun. Ich wache auf und überlege, wie spät es wohl sei. Im Haus ist es ruhig, ich höre nur die Heizung. Und meinen Heizlüfter, den ich angeschaltet habe, als ich zuvor kurz aufgewacht bin. Ich schließe daraus, dass es noch früh sein muss.
Als dann aber der Wecker klingelt und ich aufstehe – und merke, dass die Zimmer leer sind -, wird mir klar, dass mein Schlaf doch recht tief gewesen sein muss.

Als erste Amtshandlung an diesem Morgen, noch bevor ich über Frühstück nachdenke, versorge ich meinen Computer mit Strom und Internet. Dann versorge ich mich selbst mit Toast und Erdnussbutter, die richtig gut schmeckt, weil ich keine Butter benutze und die Toasts nach dem Auftoasten (sind sie doch aus dem Gefrierfach) auskühlen lasse.
Ich lasse die Katze in den Garten und auf der Suche nach dem Hund fällt mir auf, dass ich doch nicht allein im Haus bin, Jol liegt in Charlottes Bett und schläft. Es ist spät, ich vermute, sie ist krank.

Charlottes Katze

Den restlichen Vormittag und auch den Mittag verbringe ich am Computer. Bei eBay ersteigere ich ein Handy, das 6310i – ein Businessmodell von Nokia. Ganz ausgezeichnetes Modell, ich kenne drei Leute, die es besitzen und es in den höchsten Tönen loben. Und mit Versand (Express wohlgemerkt – aber das entspricht dem deutschen Standardversand) hier in Australien immer noch günstiger als in Deutschland ohne.

Um zwanzig vor eins vibriert mein Handy. Es ist Charlotte. Sie würde heute gegen viertel vor sechs nach Hause kommen, wir hätten nämlich um halb sieben einen Termin. Verschiedene Gastfamilien hätten sich gefunden – zwei in Echuca , eine in Shepparton und eine oder zwei weitere in Orten, deren Namen man erst auswendiglernen muss. Heute Abend würden wir der Familie hier in Shepparton einen Besuch abstatten.
Und sie spricht noch mit Jol und fragt, ob sie zu dem Vorbereitungstreffen für die Schulaufführung geht.

Als lunch ist heute Karottensuppe mit Brot (etwas dunkleres Toast) im Angebot. Das Brot im Toaster aufgewärmt und anschließend im Kühlschrank auf die richtige Temperatur gebracht. Ökonomischer Unsinn und Ressourcenverschwendung, aber halt bequem.

Ich hänge Wäsche auf die Leine und räume das Geschirr in den Schrank. Dann kommt Rush nach Hause und ich räume meinen Laptop weg. Ich gönne mir ein Nickerchen.
Als ich wieder aufwache, möchte mir Rush auf YouTube den Anfang von Las Vegas zeigen. Die ersten zehn Minuten hat dort jemand online gestellt, die Serie selbst startet in ein paar Tagen. Oder kommt vielmehr zurück.
Um halb sechs werden die beiden zu einer Probe für die Schulaufführung abgeholt. Und ich merke, wie ich langsam mit der Dusche besser zurechtkomme: Ich merke mir die Positionen für die zwei Hähne.
Im Fernsehen sehe ich in den Nachrichten, dass es doch einige Leute gibt, die Weihnachten im Juli feiern. Kuriose Sache, die auch in der englischen Wikipedia nachzulesen ist.

Dann kommt Charlotte nach Hause und wir fahren zu der potentiellen Gastfamilie hier in Shepparton. Das erste, was ich im Wohnzimmer bemerke, ist der Laptop auf dem Tisch. Er heißt Allan und hat zwei Töchter (5 und 8 Jahre), sie heißt Michelle. Der Sohn der beiden geht in die 8. Klasse. Es ist warm im Haus und draußen bellt ein Hund. Ich wäre der erste Austauschschüler in der Familie. Allan ist übrigens Feuerwehrmann. Charlotte und ich führen ein ausführliches Gespräch mit der Familie und die beiden behalten den Fragebogen für Gastfamilien da, um ihn über Nacht auszufüllen. Die beiden werden eine Nacht über die Entscheidung schlafen und sich dann wieder bei Charlotte melden.

Auf dem Weg zurück frage ich Charlotte, ob einer der beiden raucht. Michelle würde rauchen, sagt sie. Aber wir haben beide im Haus nichts gerochen. Klingt noch so gerade akzeptabel, auch wenn ich mich innerlich irgendwo dagegen sträube.
Zu Hause gehe ich noch einmal in ICQ online und genieße ein wenig Mousse au Chocolat. Charlotte friert noch ein wenig Hack aus. Und als ich um zehn nach neun Big Brother nicht mehr sehen kann, gehe ich ins Bett.

Nichtstun

Sonntag, den 22. Juli 2007

Sonntagmorgen. Ausschlafen. Und heute ist ein Freizeittag. Rush und Jol sind heute in der Schule, um Vorbereitungen für die Aufführung zu treffen.
Zum Frühstück gibt es für mich Toast mit Erdnussbutter. Zwar crunchy, aber dennoch ein wenig komisch. Die Erdnüsse wirken mehr gemahlen denn geschreddert. Und Milch, ganz wichtig.
Vormittags nehme ich mir erst ein Buch, dann eine Dusche. Interessante Sache, diese Dusche: Damit man das 3-Minuten-Limit nicht vergisst, ist in der Dusche eine wasserdichte Stoppuhr, die man auf drei Minuten einstellen kann. Und ich nehme mit Freude wahr, dass das Wasser auch in der Dusche sofort warm wird. Mir ist noch nie so bewusst geworden, wie ergiebig eine kleine Menge Shampoo auch ohne viel Wasser sein kann…
Die Dusche ist höher als die auf der Farm, ich kann nicht darüber gucken. Nur das Bad ist ein wenig kalt, kein Strahler sorgt für Wärme. Aber daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen.
Später kriege ich einen Heizlüfter in mein Zimmer, damit es endlich ein bisschen wärmer wird. Sehr feine Sache, wobei auch die Gasheizung an der Wand im Wohnzimmer nicht zu verachten ist.

Nachmittags habe ich zum ersten Mal Internetzugang außerhalb der Schule (von Jills Eltern einmal abgesehen). Ich gucke, was meine Konten so machen und wie der Umrechnungskurs zum Australischen Dollar ist, wenn ich mit der Kreditkarte bezahle.
Und ich krame mein Funkgerät hervor und kann zum ersten Mal die APRS-Bake des Funkamateurs hier in Shepparton empfangen.

Abends ist wieder Big Brother angesagt. Und ein Spinat-Käse-Auflauf, der ein wenig eigenwillig schmeckt. Aber ich esse ihn. Danach begleite ich Grant mit dem Hund. Wir laufen in Richtung der Schule und sehen das Footballspielfeld.

Oh sorry! *hmpf*

Mittwoch, den 18. Juli 2007

Halb sechs. Ich bin wach und genieße die einzigen Stunden am Tag, in denen ich mir relativ sicher sein kann, dass mich niemand in meiner Ruhe stört. Dann, um elf Minuten nach sechs das allmorgendliche Tuten. Ich habe keine Ahnung, woher es kommt, aber es ist jeden Tag da um die selbe Zeit und nach so ungefähr zehn Sekunden hört es abrupt wieder auf.

Um kurz nach acht stolpere ich mehr oder weniger in die Küche. Als Jill fragt, wie es mir ginge (nicht, dass sie wirklich fragen würde, nur das übliche „How are you doin‘?“), antworte ich mit dem sonst für Stuart typischen „not bad“ und überlege im gleichen Moment, dass das eigentlich nicht so wirklich wahr ist.
Kurz darauf kommt Stuart hinein und beginnt zu frühstücken. Er zweifelt wieder an, dass ich morgen zur Schule rechtzeitig auf sein würde. Dann sagt er: „It’s warm outside, isn’t it? Oh, sorry – you may probably not know! Probably“. Irgendwann, irgendwann…

Jill fragt mich, ob ich heute Nacht im Schlaf gesprochen habe und mir fällt einer meiner Träume wieder ein. Sie sind allesamt schlecht gewesen, wie alle, seit ich hier bin.
Während eines Traumes bin ich aufgewacht und weiß noch, dass ich gegen die Wand geschlagen habe; die Storyline eines anderen bestand daraus, dass jemand mit einem Auto gegen so einen großen, runden Bierwagen gefahren ist, wie es sie auf größeren Sportveranstaltungen gibt.
Aber sie sind nicht interessiert, zu erfahren, was ich geträumt habe. Es war eben halt nur das übliche „How are you doin‘?“ heute morgen, genau so wie sie es fragen, wenn sie eine Nummer aus einer Werbeanzeigen anrufen und sich nach Preisen erkundigen. Nicht das „Wie geht es dir, mein Sohn?“.

Als er mit dem Essen fertig ist, sieht Stuart stillschweigend eine CSI-Folge. Ich mache die Milch alle (schon fast unglaublich bei 2-Liter-Packungen und 160 Kühen, die zwei Mal am Tag gemolken werden) und frage ihn, ob noch welche im Kühlschrank bei der Melkmaschine ist. Nein, da sei keine mehr, sagt er. Im Moment würde alles passen, meine ich. Das müsse es auch, entgegnet Stuart, er würde nämlich nicht aufstehen, um neue zu holen.
Später setze ich mich zu ihm und gucke die CSI-Folge bis zum Ende, obwohl ich sie schon kenne. Es ist interessant, die Schauspieler mit ihrer eigenen Stimme anstelle der Synchronstimme sprechen zu hören.
Als er wieder rausgeht, räume ich einiges Geschirr in die Schränke. Eine der Aufgaben, die ich gerne erledige: Es ist wärmer als draußen und ich laufe Stuart mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht über den Weg.

Heute benutze ich zum ersten Mal für längere Zeit dem Wärmestrahler im Badezimmer, denn obwohl es ein wenig wärmer geworden ist, ist es immer noch bitterkalt dort drinnen. Nicht zum ersten Mal habe ich heute wieder die Wahl zwischen Verbrühungen und Erfrierungen und ich kann mich genau so wenig für eines der beiden entscheiden wie die Dusche. Und dann fällt mir wieder auf, dass ich anscheinend der einzige in diesem Haushalt bin, der sich darum sorgt, dass es noch andere Leute geben könnte, die die Dusche benutzen, und etwaige Haare zumindest in den Ausguss spült.
Trotz der Wärme, die der Strahler verbreitet, sind meine Hände und Füße eiskalt. Ich glaube, ich werde keine Heizung mehr brauchen, wenn ich nach Deutschland zurückkomme.

Im Radio höre ich wieder P!nk und kann zumindest ein wenig entspannen. Stuart ist draußen und füttert irgendwelche Kühe auf irgendwelchen Weiden, mir ist das herzlich egal. Ich hole nur kurz Holz und entschwinde dann wieder nach drinnen. Wir haben übrigens, anders als ich es Samira gestern erzählte, doch so eine Art motorbike, glaube ich. In Deutschland würde ich es wohl Quad nennen. Stuart fährt mit solch einem Gefährt und einem Trailer voll mit Futter zu den Kühen.
Ich blättere ein wenig durch die Broschüren von STEP IN und lächle ein wenig verbittert über Passagen wie „Deine Gastfamilie möchte Dich als richtiges Familienmitglied in ihr Leben eingliedern, also Erfahrungen und Spaß mit Dir teilen“ oder „Ein Hauptgrund dafür, Dich als zusätzliches Familienmitglied aufzunehmen, liegt sicherlich im Interesse an der deutschen Kultur“.

Dann widme ich mich zum bereits zweiten Mal in nicht einmal einer Woche in meinem Zimmer dem Staubsaugen. Creepy.
Als ich fertig damit bin und gerade eine leere Milchpackung in die Recyclingtonne bringe, kommt Stuart mit (s)einem der Hunde herein (den anderen hat Jill stets mit) und setzt sich wieder vor den Fernseher.

Hund

Während meine Hände wieder kälter werden, gehe ich wieder in mein Zimmer und beginne zum ersten Mal, meine Zeit richtig zu verschwenden. Ich spiele Tomb Raider – nicht, weil es mir besonders viel Spaß machen würde, sondern weil ich nichts anderes zu tun weiß. Und weil es mir nicht besonders viel Spaß macht, höre ich nach zehn Minuten wieder damit auf.
Ich setze mich zu Stuart vor den Fernseher, der Film, den er guckt, ist so eine Art Horrorfilm. Zwei Frauen fahren eine Leiche durch die Gegend. Stuart macht sich etwas zu essen.
Als er aufgegessen hat und heißes Wasser in das Spülbecken einlässt, um sich dann wieder dem Fernseher zu widmen, mache auch ich mir etwas zu essen. Vier Toasts, zwei mit Butter, eines mit dünnem Schinken, eines mit Käse. Dazu ein Glas Honigmilch und eines mit „Sipahh“, Geschmacksrichtung Kakao, für mich hier gelassen von Jills Schwester.

Und jetzt habe ich einen Geistesblitz: Auf meiner externen Festplatte tummeln sich noch einige Mitschnitte aus dem deutschen Fernsehen, darunter Sonnenallee, Dirty Dancing, Nur ein kleines bisschen schwanger und 30 über Nacht. Ich entscheide mich für Sonnenallee und genieße eineinhalb Stunden deutsches Fernsehvergnügen so ganz für mich allein. In Gesellschaft wäre es sicherlich vergnüglicher, aber mit der ist es hier ja nicht sonderlich weit her.

Danach mache ich mir so meine Gedanken und während ich das tue, staubsauge ich die Küche, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, das andere Gästezimmer, den Raum neben der Küche, den Flur und das Büro. Und nachdem ich vor einigen Jahren mal in einem spektakulären Selbstexperiment den durchschnittlichen Staubniederschlag pro Jahr festgestellt habe, kann ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass dort vor dem Schreibtisch seit ungefähr eineinhalb bis zwei Jahren nicht mehr gesaugt worden sein muss.
Jill und Stuart sind noch immer draußen, aber ich glaube, ich habe nun erst einmal genug getan. Das Geschirr hat auch schon wieder in den Schrank zurückgefunden und Holz ist auch noch da. Ich genieße einige Stücke deutsche Musik. Es wird später und später, morgen wird mein erster Tag in der Schule sein.

Als Jill später dann hereinkommt, bittet sie mich, noch mehr Holz zu holen. Ich bin etwas verwundert, der Wagen ist fast voll. Aber nun gut, bitte. Und ich solle noch einmal zu den Hühnern gucken, aber die sind mit schon fast deutscher Ordnungsliebe weggesperrt.
Ich vergleiche mich mit anderen Austauschschülern, deren Gasteltern im Büro arbeiten. Die würden sie nicht mitnehmen zur Arbeit. Von mir hingegen wird ganz selbstverständlich erwartet, dass ich auf dem Hof mithelfe. Und zusätzlich natürlich noch im Haus. Das ist schon kurios und – irgendwie auch ungerecht.
Wobei, die letzten zwei Tage bin ich ein wenig dabei, auszutesten, ob ich mithelfen muss. Ich schätze nur, sie werden es für eine gewisse Zeit tolerieren und dann meckern. Mal sehen, wie das wird, wenn morgen die Schule beginnt.

Zum Abendessen gibt es Bohnen mit Toast. Stuart fragt mich, wie viele Scheiben Toast ich haben möchte. Eine oder zwei, antworte ich. Eine oder zwei, fährt er mich an, ich solle mich entscheiden. Das gefälligst lässt er weg, aber es hätte gepasst. Hilfe! Ich entscheide mich für eine.

Das Essen soll das – wie Stuart sagt eines der – Lieblingsessen von der Austauschschülerin aus Bremen gewesen sein und ich denke, es könnte auch meines werden. Aber ich habe nicht sehr viel Hunger.

Danach wieder das übliche Big Brother-Gucken und darauf eine Polizeiserie. Interessant, dass man in Australien anscheinend der Meinung ist, dass das Laufen über ein Footballspielfeld (bekleidet wohlgemerkt) genau so schwer wiegt wie der Besitz von Drogen auf der Toilette des Stadions: Beide Täter werden zu fünfhundert Dollar Strafe verurteilt.

Dass ich früh zu Bett gehe, muss ich nicht erwähnen, oder? Und das, obwohl heute Dr. House kommt und ich die Folge noch nicht kenne.

ein Schritt zum Internet

Samstag, den 14. Juli 2007

Nachts um zwanzig nach zwei, nach 6 Stunden Schlaf wache ich auf. Mir ist ein wenig kalt, aber nicht mehr so kalt wie zuvor, seitdem ich jetzt noch mit einer Wolldecke schlafe. Ich höre irgendjemanden durchs Haus geistern und schlafe wieder ein.
Gegen 6 Uhr wache ich noch einmal auf. Wie ich später erfahre, geht Jill mit ihrer Nichte und ihrem Neffen zum Melken und Kühe füttern. Ich stehe um kurz vor acht Uhr auf und genieße wieder einmal eine warme Dusche. Überwiegend warme Dusche. Meist warme Dusche. Eine Dusche halt. Eine Dusche, die einen Hahn für Warmwasser und einen für kaltes besitzt. Eine Dusche, deren Wassertemperatur sich allerdings die meiste Zeit danach richtet, ob gerade heißes Wasser von dem (übrigens draußen stehenden) Boiler angeliefert wird und die daher beständig zwischen heiß und kalt wechselt. Und eine Dusche, die man nicht abstellen kann, ohne die Temperatureinstellung zu verlieren. Das ganze in einem Badezimmer fast noch kälter als das restliche Haus. Das Ding, was ich bislang für eine kaputte Leuchtstoffröhrenhalterung gehalten habe und was sich nun als Wärmestrahler entpuppt hat, ist nämlich bislang immer ausgeschaltet gewesen. Noch bin ich damit beschäftigt, herauszufinden, wie man all das mit „Nothing is better or worse, it’s different.“ vereinen kann. Ich werde mich wieder melden, wenn ich es herausgefunden habe.

Um halb neun komme ich an den Frühstückstisch, alle anderen sind bereits fertig. Stuart meint, es sei ja schon fast Nachmittag. Ich esse unbeirrt eine Schale Müsli und auf einmal stoßen Jill und er dazu. Als ich fertig bin, isst Jill noch immer. Ihr Mahl wird jedoch jäh unterbrochen, schuld ist ein Kalb. Oder die Kuh. Oder auch beide. Das Kalb steckt in der Kuh und möchte gerne raus, aber kann nicht. Stuart und Jill versuchen, bei der Geburt behilflich zu sein, aber es klappt nicht. So entschließen sie sich, den Tierarzt zu rufen.
Jills Schwester, deren Mann und Kinder verabschieden sich nun. Morgen sind sie auf einem sechzigsten Geburtstag eingeladen, am Montag beginnt die Schule wieder und sie haben einige Kilometer vor sich.
Wir setzen uns noch ein wenig in die Küche, umgeben von nur noch zwei Hunden. Gegen zwanzig vor Elf kommt der Tierarzt oder vielmehr eine Tierärztin und eine geschätzte knappe halbe Stunde später ist das Kalb, wo es hingehört: Draußen.

Kuh und Kalb

das Kalb ist draußen

Jill säubert seine Atemwege, dann leckt die Mutter es trocken. Ihm werden in den nächsten Tagen und Wochen noch viele folgen.

Kuh und Kalb

Kalb

Dann hole ich Holz für den Kamin. Eines der Stücke zeigt sich doch etwas sehr widerspenstig und ich brauche beinahe zehn Minuten, um ihm Herr zu werden.

Holz

Wieder im Haus, gibt es erst einmal ein Mittagessen, heute ist das Vernichten der Reste angesagt, also freie Auswahl. Ich gucke mir zum ersten Mal meine Spanischbücher näher an und bin doch etwas frustriert darüber, dass das mit der Aussprache schwierig werden könnte… Stuart sieht ein Footballspiel und ich nicke darüber ein, während Jill die Wäsche wäscht. Nebenbei: Eine sehr interessante Sache – die Waschmaschine hat die Einstellungen „cold“, „warm“ und „hot“ und Jill wäscht auf „cold“.
Als ich wieder aufwache, schicken sich Stuart und Jill gerade an, die Kühe zu melken. Ich bleibe noch ein wenig im Haus und versuche noch einmal, meinen Funkfreund zu erreichen. Heute habe ich Glück und erwische ihn unter seiner Handynummer. Er wird mir behilflich sein in Sachen Internet und Handy und zunächst für mich einen günstigen Internetprovider recherchieren. Am Samstag würde er auch einmal vorbeikommen oder mit mir nach Shepparton fahren, um ein Prepaid-Handy zu besorgen. Das sind doch ganz gute Aussichten.
Nach dem Telefongespräch folge ich den beiden nach draußen und füttere dann erst die einzelnen Kälber und dann die Herde selbiger.

Kalb

Das Futter kommt heute nicht wie gestern aus dem Eimer, sondern direkt aus dem Silo. Und ich kriege einen ersten Crashkurs in Sachen Melken.

Melkstand

Mittlerweile habe ich auch die Schokoladenregel verstanden. Ich habe nämlich ein Stück der Schokolade probiert und herausgefunden, dass sie so kakaohaltig ist, dass Jill mit „one chocolate“ höchstwahrschenlich ein Stück meinte.
Die Gebühren für mein Amateurfunkrufzeichen hier in Australien werde ich wohl am Besten als Scheck oder Zahlungsanweisung an den Mann, oder vielmehr an die Fernmeldebehörde, bringen. Überweisungen seien recht teuer, meint Jill.
Während des Essen fällt mir zum wiederholten Male die Bezeichnung „salt reduced“ auf der Butter auf und ich finde es immer noch erstaunlich, dass die offensichtlich gut gesalzene Butter schon reduziert ist. Mein Bedarf, die normal gesalzene Butter zu essen, ist dementsprechend gering.
Im Anschluss an das Essen spreche ich noch mit meinen Gasteltern über Dinge wie EF, meine SCCE-Betreuerin und meine häuslichen Aufgaben. Ich werde (fast wie zu Hause) für das Altpapier zuständig sein – mit dem Unterschied, dass in die Altpapiertonne hier auch Papier, Pappe, Glas, Dosen, Plastik hineinkommen – einfach alles. Das könnte man in Deutschland ruhig auch mal einführen. Außerdem werde ich mich weiterhin um das Holz kümmern. Ist ja auch irgendwie in meinem Interesse, das es warm bleibt hier drinnen. Außerdem sprechen wir noch über die Familie, die mich morgen nach Melbourne mitnehmen wird und auch einen Austauschschüler hat (oder vielmehr eine Austauschschülerin, auch über STEP IN/SCCE), und über die Nachbarn. Wobei Nachbarn ein recht großes Wort ist hier in Australien. Sie wohnen meist nur einen Block entfernt, aber das ist mal eben eine Meile.
Ich plaudere noch ein wenig mit Jill, sie zeigt mir ein Fotoalbum der vorhergehenden Austauschschülerin, während Stuart sich schon dem Fernsehen widmet. Als ich mich anschicke, ins Bett zu gehen, schickt sich eines der Kälber an, geboren zu werden und eine Fernsehsession wird zwangsläufig unterbrochen.
Als beide von draußen zurück sind und vorm Fernseher sitzen, gehe ich zu Bett. Mein Wecker wird um viertel vor sechs klingeln, morgen ist die „arrival orientation“ in Melbourne und um zwanzig vor sieben ist Abfahrt in Richtung Shepparton.

Freitag der dreizehnte

Freitag, den 13. Juli 2007

Ich wache zwischen sechs und sieben Uhr auf, aber bleibe noch bis halb acht liegen, bis ich mich dazu aufraffe, aufzustehen. Die anderen sind auch schon alle auf und frühstücken, während ich mit einem Glas Milch vorlieb nehme und Jill das Haus verlässt.
Nach dem Frühstück fahre ich mit dem Mann von Jills Schwester nach Numurkah. Er werkelt dort mit ihrem Vater an seiner Motorsäge und dessen Computer. Ich besorge mit Jills Mutter meine Schuluniform bei „McPherson’s Mensland“: Zwei Hemden, einen Pullover, eine Hose. Das muss für den Anfang reichen. Zurück bei Jills Eltern hole ich das Frühstück mit zwei Toasts nach und habe das erste Mal seit dem Flughafen in Singapur die Möglichkeit, meine E-Mails zu lesen. Während ich den Spam aussortiere, erfahre ich, dass es bei Jill wohl nicht möglich sei, eine Breitbandverbindung zu bekommen. Und aus irgendeinem Grund funktioniere auch kein Breitband über Funk. Verflixt. Ich habe eine E-Mail von dem Funkamateur aus Shepparton erhalten, mit dem ich auch schon zuvor in Kontakt stand. Er bittet mich um einen Rückruf.

Als wir zurückkommen, verziehe ich mich kurz in mein Zimmer, um dann mit den Kindern und ihren Eltern auf eine nahegelegene Weide zu fahren, wo wir einige Äste zersägen und dann sortieren: Holz für den Kamin und Holz für das Lagerfeuer.

Weide

Ich habe selten ein Feuer so schnell brennen sehen wie dieses. Der Wind war stark und wir hatten Mühe, es anzubekommen, aber dann brannte es lichterloh. Wir lassen es brennen und kehren zurück auf die Farm, um zu Mittag zu essen. Hotdogs klingt zunächst nach einem gewohnten Essen. Wenn dann allerdings die Würstchen in einem penetranten Blutwurstrot gehalten sind, kostet es doch etwas Überwindung, sie – so ganz ohne Mayonaise, Ketchup und Röstzwiebeln, sondern stattdessen mit irgendeinem Chutney – zu essen. Aber schlussendlich ist es mir doch gelungen. Nach dem Essen bringen wir dem Mann von Jills Schwester einige Sandwiches, aber er ist schon auf dem Rückweg. Ich freunde mich mit den Pferden an, mache ein paar Fotos und hole Holz, um dann noch einige Erinnerungen am Laptop festzuhalten. Beispielsweise die Frage von Jills Neffen: „Do you have cows in Germany?“

Noch extremer, als ich es mir ohnehin schon vorgestellt habe, ist hier die Benutzung des „How are you?“ oder noch öfter „How are you doing?“. Und wie erwartet, reicht ein „Fine, thanks.“ völlig aus. Wenn es hochkommt, folgt darauf dann noch ein „good“, aber das ist schon recht selten. Die Verabschiedung erfolgt meist mit einem unverbindlichen „See ya!“.

Später versuche ich noch, den Funkamateur über seine Handynummer zu erreichen, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund klappt das nicht. Wähle ich die Nummer über meine CampusCard richtig, klingelt es nicht – wähle ich sie falsch, weist mich eine Computerstimmt zurecht.
Am Abend zeige ich noch einige Fotos, unter anderem vom Besuch der Emma Maersk in Bremerhaven im September 2006, den Pferden und meiner Familie und gehe noch früher als sonst ohnehin schon zu Bett: Um 8 Uhr, eine halbe Stunde bevor (anders als in Deutschland) hier der Spielfilm beginnt.


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