Reallife-QSO

Samstag, den 28. Juli 2007

Heute geht es früh(er) raus: Um acht Uhr stehe ich auf, damit Charlotte mich auch rechtzeitig um neun zu Jerren, dem Funkamateur fahren kann.
Als ich frühstücke teilt mir Charlotte allerdings mit, dass sie Grant zur Arbeit fahren müsse. Dann würde sie noch exercises machen und mich im Anschluss aufpicken. Mir ist noch nicht so ganz klar, was genau ich darunter zu verstehen habe. Ich weiß aber, was es für mich bedeutet: Ein wenig Computer, bis sie wiederkommt. Ich lese auf der Website des lokalen Amateurfunkortsverbandes, dass jeden Sonntag um halb acht Uhr abends der Rundspruch der WIA verlesen wird und montags um die selbe Zeit die Amateurfunk newsline aus den USA. Und aus meiner Heimat erfahre ich, dass das Relais DB0OSN in Osnabrück über eine Echolink-Anbindung verfügt. Klingt nach einem Draht nach Hause.
Dann versorgt mich Rush noch mit etwas Musik und als Charlotte wieder zu Hause ist, gestalte ich für sie einen Flyer, der nach einer Gastfamilie für mich suchen soll. Gegen 10 Uhr möchte sie wieder los, wir fahren allerdings zunächst zur Bibliothek, wo Charlotte (verflixt viele) Kopien des Flyers macht, dann fährt sie mich zu Jerren.
Von seiner Arbeit weiß ich nur, dass er gegenüber von McDonalds und der Feuerwehr arbeitet. Die Straße finden wir sofort und nachdem auch unser Auto einen Platz hat, suchen wir die Hausnummer. Ich erwarte irgendetwas alltägliches. Einen Elektronikladen, was auch immer. Aber keinen Juwellier.
Rush und Jol bleiben im vorderen Bereich des Ladens (Charlotte hegt Zweifel daran, dass sonst alles heile bliebe), während Charlotte noch ein wenig Smalltalk mit Jerren hält und ihm einen der Flyer überreicht. Dann geht sie wieder und lässt mich mit Jerren alleine; er wird mich später zu Hause absetzen. Nicht ganz alleine allerdings, seine älteste Tochter sitzt im hinteren Bereich des Ladens und erledigt Mathematik- und Chemiehausaufgaben. Viertel vor elf. Jerren zeigt mir ein Funkgerät, dass er im Laden stehen hat. CB-Funk, um eine einfache Verbindung in sein Haus zu haben.
Später kommt seine Frau vorbei, Berenice. Gegen 14 Uhr schließen die beiden den Laden. Ein wenig später als erwartet, denn im Moment wird gerade das Schaufenster umgebaut und solange die Werkzeuge im vorderen Bereich des Ladens stehen, kann das Gitter nicht heruntergelassen werden. Jerren und Berenice räumen die Auslagen in den Tresor, während ich mit den beiden anderen Töchtern etwas zu Trinken für das Mittagessen einkaufe. Die jüngere ist im achten Jahrgang, die ältere studiert in Melbourne und ist nur diesen Tag da; sie fährt morgen um sechs Uhr zurück.
Als wir auf den Parkplatz kommen, gibt es eine kleine Überraschung: Sie fährt einen Käfer. Es ist schon komisch; wir schreiben das Jahr 2007, ich bin am anderen Ende der Welt und – ich fahre zum ersten Mal in einem Käfer…
Im Supermarkt fragen mich die drei, wie man „Ferrero Küsschen“ ausspricht und weder ich noch mein Wörterbuch wissen die Übersetzung für Verniedlichungsform oder Verkleinerungsform. Wir holen noch ein Video aus der Videothek – für 50 Cent…

Dann fahren wir zu Jerren nach Hause, es ist ein anderes als das, was ich vor ein paar Tagen als das vermutliche Heim Jerrens ausgemacht habe. Und dort steht ein weiterer Käfer. Und eine Motorhaube auf einem Anhänger, die eine Beule bekommt, als der Haustürschlüssel auf ihr landet. Aber das macht nichts, schließlich hat diese Motorhaube schon schlimmeres erlebt; die älteste der drei hatte vor einiger Zeit einen Disput mit irgendetwas, was augenscheinlich stärker war als ihr Auto.

Auf dem Dach sind so einige Antennen, soweit ich das in der langsam einsetzenden Dämmerungen ausmachen kann. Wir gehen ins Haus und gucken den Film Hot Fuzz, den wir auf dem Nachhauseweg noch aus der Videothek mitgebracht haben. Das Haus ist groß und warm, obgleich mir keine Heizungen auffallen (vielleicht eine Fußbodenheizung?). Mir ist nicht kalt, obwohl ich nur Socken trage.
Nur wenige Minuten später kommen Jerren und seine Frau nach Hause und bringen Pizza mit. Interessante Geschmacksrichtungen, eine ist mir absolut unbekannt, auf einer anderen Pizza kann ich zumindest den Schinken identifieren. Um fünf schickt mir Charlotte eine SMS: „R u coming home for t“ und ich antworte ihr, dass ich gerne noch etwas bleiben würde – „Ok, just b home before midnight if u need a ride give me a ring“. Das ist doch mal nett.

Als der Film zu Ende ist, zeigt mir Jerren seinen Shack, vollgestopft mit Transceivern und blinkenden Routern (inklusive Wireless-LAN). Und er hat mir Informationen über einen günstigen Internetzugang und über den Mobilfunkprovider iSIM, der deutlich günstiger ist als Telstra.
Und er zeigt mir einige Fotos, unter anderem von Pferden, die unweit von Charlottes Haus auf einer Weide stehen. Dann bittet er mich nach draußen und zeigt mir, was in der Garage steht: Noch ein deutsches Auto, ein BMW. Faszinierend. Ach – und ganz nebenbei: Das Waschbecken im Bad ziert nur ein Hahn anstelle von zweien.
Die Techniksession unterbreche ich für einige Minuten, um mit den Mädchen Tischtennis zu spielen und mich mit der ältesten von ihnen über Fernsehserien zu unterhalten. Und ich hole mit ihr die mittlere Tochter von einer Party ab. Als sie mich fragt, was für Musik ich höre, fallen mir nur zwei Bands ein. Sie vermutet, ich höre Britney Spears und obwohl ich protestiere, wird das wohl für immer irgendwo in ihrem Gedächtnis verbleiben.
Bei eBay gucke ich mich ein wenig nach einem Handy um und finde einen australischen Händler, der das 6310i für 160 australische Dollar anbietet. Zwischendurch gibt es noch Pudding mit Reis. Von Dr. Oetker.

Um zehn Uhr fährt mich die mittlere Tochter, die, wie ich mir mittlerweile gemerkt habe, Cathleen heißt, nach Hause. Sie hat noch keinen Führerschein, sondern nur learners permit, vergleichbar ungefähr mit dem „Führerschein ab 17“ in einigen deutschen Bundesländern und so quetschen vier uns zu viert (Jerren, Berenice, Cathleen und ich) in einen der Käfer. Das mit dem Zurücksetzen sollte sie vielleicht noch einmal üben, als wir aus der Ausfahrt draußen waren, konnte man auch ohne gutes Augenmaß einen seitlichen Versatz von einem guten Meter ausmachen. Wäre sie geradeaus wieder in Richtung Haus gefahren, hätte sie zwangsläufig einen nicht unerheblichen Teil des Gartenzaunes mitgenommen.

Als wir zu Hause ankommen, öffne ich die Haustür. Grant und Charlotte sitzen auf dem Sofa und schauen Fernsehen. Die Tür hätte gar nicht offen sein sollen, wie man mir mitteilt. Anscheinend war da jemand beim Sparzierengehen mit dem Hund ein wenig vergesslich. Ich bedanke mich bei Jerren und bitte ihn auch, seiner Frau einen Dank für das Essen auszurichten.
Das Puzzle auf dem Tisch ist fertig, aber Charlotte hat noch ein neues. Rush kommt aus ihrem Zimmer und die beiden puzzeln, während ich meine E-Mails checke und Charlotte zeige, wo Jerren wohnt und was ein Käfer ist. Und dann gehts ab ins Bett

Lieber am Strand oder zu Hause?

Freitag, den 27. Juli 2007

Auch heute kann ich wieder ausschlafen bis um kurz vor neun. Charlotte fährt gegen halb zehn zur Arbeit und zeigt mir vorher einige komische Kreuzworträtsel. Sie wären ganz normal, wenn nicht die kleinen Hinweise fehlen würden und stattdessen ein Oberthema vergeben sein würde. Mit der Hilfe einiger Zahlen soll man auf die Buchstaben schließen können.
Dann habe ich ein wenig mit meinem Laptop im Internet gestöbert und von Leuten gelesen, die doch tatsächlich eine „angenehm“ warme Dusche nehmen können. Und ich habe einige Fotos in meinen Blog eingefügt.
Noch immer bin ich mir nicht ganz sicher, welchen der zwei Trips innerhalb Australiens ich machen soll. Und so schreibe ich eine E-Mail an SCCE und frage, ob noch Plätze für die Queenslandtour im November frei sind.

Dann habe ich eine kleine Fototour durch Shepparton unternommen. Ich bin den Weg gegangen, den ich gestern Abend schon mit Grant und dem Hund gegangen bin. Zwischendurch gab es etwas Probleme mit der Wegfindung, aber ich bin glücklichweise schlussendlich wieder zu Hause angekommen.
Die Musik, die ich dabei gehört habe, war doch irgendwie passend: „So wie jetzt wirds nie wieder“ haben Silbermond gesungen – oder „Leb jeden Tag als wärs das letzte, was du tust“.

Um kurz vor eins kriege ich eine SMS vom Strand. Und kann mich nicht entscheiden, was denn nun schöner ist: Sich den ganzen Tag frei bewegen zu dürfen und keine Schule zu haben oder mit dem Biokurs am Strand zu sitzen. Auch heute ist noch keine Gastfamilie in Sicht.

Abends gibt es Fisch und Pommes Frites. Und die tägliche Ration Soaps und Big Brother. Rush zeigt sich heute Abend von ihrer eher kindischen Seite und ist trotzig.
Dann gehe ich noch mit Grant und dem Hund spazieren. Wir gehen über das Schulgelände. Ein großes Areal, das direkt an die Schule grenzt, wurde vor einiger Zeit von einem Bauunternehmen aufgekauft und wird nun im großen Stil umgebaut. In einem See, wo vor einigen Wochen noch Schwäne waren, sind jetzt nur noch die Frösche quaken zu hören, die weißen Grazien hat der Lärm vertrieben. Und ich erfahre von ihm, dass es in Australien seit dem Vietnamkrieg keine Wehrpflicht mehr gibt.

Dann noch eine Dusche und flugs das Funkgerät ans Ladegerät angestöpselt und um kurz vor zehn ab ins Bett.

Nichtstun

Sonntag, den 22. Juli 2007

Sonntagmorgen. Ausschlafen. Und heute ist ein Freizeittag. Rush und Jol sind heute in der Schule, um Vorbereitungen für die Aufführung zu treffen.
Zum Frühstück gibt es für mich Toast mit Erdnussbutter. Zwar crunchy, aber dennoch ein wenig komisch. Die Erdnüsse wirken mehr gemahlen denn geschreddert. Und Milch, ganz wichtig.
Vormittags nehme ich mir erst ein Buch, dann eine Dusche. Interessante Sache, diese Dusche: Damit man das 3-Minuten-Limit nicht vergisst, ist in der Dusche eine wasserdichte Stoppuhr, die man auf drei Minuten einstellen kann. Und ich nehme mit Freude wahr, dass das Wasser auch in der Dusche sofort warm wird. Mir ist noch nie so bewusst geworden, wie ergiebig eine kleine Menge Shampoo auch ohne viel Wasser sein kann…
Die Dusche ist höher als die auf der Farm, ich kann nicht darüber gucken. Nur das Bad ist ein wenig kalt, kein Strahler sorgt für Wärme. Aber daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen.
Später kriege ich einen Heizlüfter in mein Zimmer, damit es endlich ein bisschen wärmer wird. Sehr feine Sache, wobei auch die Gasheizung an der Wand im Wohnzimmer nicht zu verachten ist.

Nachmittags habe ich zum ersten Mal Internetzugang außerhalb der Schule (von Jills Eltern einmal abgesehen). Ich gucke, was meine Konten so machen und wie der Umrechnungskurs zum Australischen Dollar ist, wenn ich mit der Kreditkarte bezahle.
Und ich krame mein Funkgerät hervor und kann zum ersten Mal die APRS-Bake des Funkamateurs hier in Shepparton empfangen.

Abends ist wieder Big Brother angesagt. Und ein Spinat-Käse-Auflauf, der ein wenig eigenwillig schmeckt. Aber ich esse ihn. Danach begleite ich Grant mit dem Hund. Wir laufen in Richtung der Schule und sehen das Footballspielfeld.

ein Tag voller Erlebnisse *hust* uups, Blitzhusten

Donnerstag, den 19. Juli 2007

Ich bin früh wach wie üblich, aber heute höre ich den sechs Uhr elf Ton irgendwie nicht.
Heute wird mein erster Tag in der Schule sein, gestern habe ich schon meine Uniform herausgelegt und von allen Preisschildern befreit und einen Block, meine Federtasche und den student planner eingepackt. Jetzt fällt mir ein, dass ich auch noch einen Taschenrechner brauchen könnte. Das blöde ist nur, dass ich den Krams nicht einfach irgendwo lassen kann, ich habe noch kein Schloss für mein Schließfach (ich habe ja auch noch kein Schließfach). Und außer in Mathematik soll ich ihn auch nicht mit in den Raum bringen. Blöde Zwickmühle.
Ich denke noch ein wenig darüber nach und packe unterdessen Geld aus, das Kleingeld (immerhin fünf Dollar fünfzehn) muss für heute reichen, morgen sehen wir dann weiter. Was ich mit meinem PDA mache, ist mir auch noch nicht so ganz klar, aber ich glaube, ich werde ihn mitnehmen. Kommt drauf an, ob er in die Tasche passt.
7.26 Uhr. Wenn es in Deutschland so spät wäre, würde ich gerade in den Bus einsteigen. Hier bleibt mir noch fast eine Stunde Zeit. Ich denke daran, dass MP3-Player in einigen Unterrichtsstunden erlaubt sind und entscheide mich gegen meinen PDA und für meinen MP3-Player. Da Jill noch immer im Badezimmer ist, verharre ich mit meinem Laptop im Bett.
Ein paar Minuten später schwinge ich mich aus dem Bett, ziehe meine Schuluniform an und suche die letzten Sachen zusammen. Zwischen zehn vor acht und fünf vor acht klopft Jill an und fragt, ob ich nichts frühstücken wollen würde, es sei schließlich schon kurz vor acht. Ich verneine, ich habe keinen Hunger. Ein paar Minuten im Bad, dann mache ich mir zwei Toasts mit Erdnussbutter. Ich frage Stuart, wie ich die beiden am besten zur Schule kriegen würde und er gibt mir eine kleine Plastiktüte. Um viertel nach acht verabschiede ich mich von den beiden – in der Gewissheit, dass die Uhr einige Minuten vorgeht und bepackt mit Müll für die Recycling-Tonne. Heute stünde die Tonne vorne an der Straße, sagt man mir und so gehe ich nach vorne. Während ich das tue – und mir das leere Erdnussbutterbehältnis herunterfällt, sehe ich einen Schulbus vorne an der Straße vorbeifahren. Ich entziffere die Aufschrift und stelle fest, dass er zu einer Grundschule fährt. Vorne angekommen werfe ich den Müll in die Tonne und gerade, als ich das tue, sehe ich einen anderen Bus auf mich zurauschen. Ich reiße den Arm hoch, aber der Bus fährt weiter. Scheiße, denke ich. Jill hat gesagt, ich müsse ihr Auto waschen, wenn ich den Bus verpassen würde und sie mich zur Schule fahren müsste (Stuart ergänzte, dass ich es mit der Zahnbürste tun müsste.) und das steigert meine Laune nicht umbedingt. Ich bleibe noch draußen stehen und überlege mir, wie ich es den beiden erklären soll. Mir fällt auf, dass ich bedauerlicherweise nicht einmal eine Uhr trage oder dabei habe, um zu überprüfen, ob ich wirklich zu spät bin.
Dann aber erscheint am Horizont (na ja, fast am Horizont) die Rettung, ein weiterer Schulbus biegt auf die Straße ein, an der ich stehe. Und dieser hält. Ein freundlicher Busfahrer guckt mir entgegen, meint, ich solle mir nur einfach hinten einen Sitz suchen und fährt dann weiter.
Ich setze mich in eine der leeren Reihen in der Mitte des Busses. Hinter mir sitzen die Schüler der Numurkah Secondary School, vor mir die der Primary School. Zusätzlich zu dem ohnehin schon recht lauten Grundgeräuschpegel ertönt aus den Lautsprechern im Bus Radiomusik. Gute Musik, keine Frage, der selbe wie den, den ich an meinem Radio eingestellt habe. Nur halt etwas ungewohnt.
Zwei Ecken weiter wundere ich mich, warum Samira nicht an der Straße steht. Doch der Bus fährt einen komischen Weg – oder vielmehr Umweg -, so dass ich mir vorstellen könnte, dass er später an der gleichen Stelle noch einmal vorbeikommt.
Wir fahren noch eine ganze Zeit umher, picken weitere Schüler auf und lassen andere aussteigen, bevor wir an meiner Schule ankommen. Ich gehe zielstrebig über den Schulhof und zum Sekreteriat, um dort meine Unterlagen abzugeben. Die Beratungslehrerin, die mit uns auch schon die Fächer ausgesucht hat, ist noch im allmorgendlichen staff briefing im Lehrerzimmer, also nehme ich noch für einige Minuten Platz.
Dann sehe ich plötzlich Samira von ihrem Gastvater zur Schule gebracht werden und zur gleichen Zeit ist auch das staff briefing zu Ende. Chiara (ich bin mir noch immer nicht ganz über die Schreibweise im Klaren), die italienische Austauschschülerin, und Samira bekommen ihre buddies – meiner ist nicht da und taucht auch nicht auf, als er ausgerufen wird. Also werde ich von der Beratungslehrerin zur homegroup gebracht, einer Art Zusammenkunft für organisatorische Zwecke jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn. Dort sitzt auch mein buddy – und hat zwei „Stöpsel“ seines Ipods im Ohr, was erklärt, warum er nichts gehört hat.
Da die homegroup jahrgangsübergreifend besteht und es an diesem Morgen augenscheinlich nichts von wirklicher Bedeutung zu besprechen gibt, ist eher eine Art freien Plauderns in gedämpfter Lautstärke an der Tagesordnung.
Für die ersten zwei periods steht Mathe auf dem Stundenplan (der übrigens sehr interessant aussieht so ohne Mittwoch). Ich bin in den höchsten von drei verschiedenen Mathekursen eingestuft, der gleich im Raum nebenan stattfindet. Das Thema ist interessant: Trigometrische Funktionen, also genau das, was wir in den letzten Monaten rauf und runter gemacht haben. Die Stunde verbringe ich damit, einige Sachen erklärt zu bekommen, die ich ohnehin schon weiß und damit, einige fehlende Seiten in Dreiecken auszurechnen.
Während all dessen läuft immer wieder eine „Elefantengruppe“ vorbei, auf der anderen Seite der Wand ist die Turnhalle und dort scheint eifrig gestampft zu werden, der Lärm ist stellenweise schon fast ohrenbetäubend.
Danach stehen zwei Stunden Englisch an, wobei Englisch hier eher so etwas ist wie es Deutsch in Deutschland ist: Ein Fach, in dem vor allem die Themenarbeit im Vordergrund steht. Und hier ist es für die nächste Zeit ein Thema, das sich mit verschiedenen Zukunftsvisionen befasst. Zunächst sprechen wir über George Orwells 1984 (oder vielmehr die Lehrerin spricht, außer mir kennt das Buch nämlich keiner, wobei ich zugegeben muss, dass ich es auch nicht gelesen habe), dann über einen Herren namens Aldous Huxley, der das Buch „Brave New World“ geschrieben habe und darin die von Ford eingeführte Massenfertigung am Fließband auf die Fortpflanzung des Menschen übertragen habe und schließlich – tadada – über Gattaca, einen Film aus der jüngeren Zeit, in dem es, grob gesagt, um Diskriminierung aufgrund von Erbanlagen geht und daraus resultierende Situationen geht. Und genau diesen Film habe ich schon drei Mal gesehen, das letzte Mal im Religionsunterricht, was ein Grund dafür ist, weshalb ich ihn auch schulisch schon eingehend beleuchten konnte. Um so besser für meinen Start hier in Australien, dass ich den Stoff schon kenne – und interessant ist es allemal, einen Film in seiner Originalsprache zu sehen, wenn man sich nicht die ganze Zeit darauf konzentrieren muss, die Handlung zu verstehen.
Den Film sehen wir übrigens über den Beamer, der in jedem Raum an der Decke angebracht ist. Faszinierende Geschichte; Boxen gibt es übrigens auch entsprechend zwei neben der Projektionswand.

Nach vier Stunden mehr oder minder harter Arbeit folgt die große Mittagspause, eine Stunde lang. Von meinem Buddy war schon nach den ersten zwei Stunden nichts mehr zu sehen und so sitze ich, wie auch in der ersten Pause schon, mit der vorherigen Austauschschülerin auf dem Hof von Jill und Stuart und ihrem Freundeskreis zusammen. Mehrmals bemerke ich erstaunt, dass es nur Mädchen sind, aber mir dünkt, die sind einfach kommunikativer und auch integrativer (hoffentlich gibt es dieses Wort überhaupt in dieser Bedeutung).
Die letzten beiden Stunden bedeuten für mich ein wenig Entspannung, Informatik steht an und ich bekomme nicht nur meinen Login für das Schulnetz, sondern auch die Möglichkeit, nahezu die ganzen zwei Stunden im Internet zu surfen, während ich mich nebenbei noch ein wenig dem Pseudocode widme, der dafür sorgen soll, dass eine Tasse Kaffee fertig wird oder ein Roboter den Weg von einem Tisch zur Tür findet. Eine Woche ohne Internet bleibt nicht ohne Spuren, elf neue Kommentare in meinem Blog und sechshundert E-Mails, das meiste davon Spam.

Es gibt im Leben nur wenige Momente, die mir vollständig die Sprache rauben. Heute war einer davon. Ich komme um kurz nach vier Uhr nach Hause, ein wenig gestresst vom ersten Tag in der neuen Schule ohne Fünf-Minuten-Pausen. Ich gehe ins Haus, trinke eine Honigmilch und esse zwei Toasts, quasi ein verspätetes Mittagessen. Dann versuche ich, meinen Vater in Deutschland zu erreichen und vereinbare mit ihm ein Telefonat für morgen früh. Danach tausche ich meine Schuluniform (das Hemd ist übersät mit blauen Flusen, weil der Pulli noch nicht gewaschen wurde) gegen Farmkleidung und gehe nach draußen, um Holz zu holen, der Wagen ist nämlich fast leer. Ich sehe, dass Stuart anscheinend welches gehackt hat, einige frische Scheite liegen auf dem Rasen. Ich packe große und kleine in den Wagen, wie üblich, bringe ihn dann zur Eingangstür und gehe dann zu Stuart. Auf mein „Hi“ erfolgt nur ein „Did you miss the bus?“. Ich denke über den Weg zur Schule nach, dann über den von der Schule und verneine. Was ich denn dann die ganze Zeit gemacht hätte, fragt er, jetzt sei er längst fertig. Holz geholt, entgegne ich, es sei nämlich keines mehr im Wagen gewesen und das Feuer wäre auch nahezu aus. Ob ich überhaupt Holz hacken könne, fragt er, ich würde schließlich immer eine Mischung aus kleinen und großen Stücken bringen. Ich schaue verwirrt, schließlich hat Jill mich gerade gestern gebeten, größere Holzstücke zu holen und selbst da habe ich mich schon gewundert, weil Stuart, als er mir es erklärte, sagte, ich solle zwei oder drei große (von mir aus auch drei oder vier, den großen Unterschied macht das nicht) Stücke mit kleineren Mischen. Vielleicht definieren wir klein und groß auch einfach anders, wundern würde es mich nicht sonderlich. Er fragt erneut: „Can you split wood? Simple question: Yes or no?“ – ich würde ihm gerne erklären, dass ich nur die kleineren der größeren Stücke zerteilen kann, aber mir bleibt aufgrund der – leicht, aber nur leicht, ganz leicht suggestiv angehauchten – Fragestellung nichts anderes übrig, als zu antworten: „Then no.“
Darauf folgt der Teil, der mich sprachlos macht. „Fuck off“ ist dabei noch eines der freundlicheren Worte und ich glaube, ich kann froh sein, nicht alle Wörter zu verstehen. Stuart schickt mich ins Haus. Ich gehe, ungläubig den Kopf schüttelnd. Es ist für mich absolut indiskutabel, dass man bei solche einer vergleichsweise banalen Begebenheit einen Austauschschüler, der gerade einmal eine Woche bei einem und zudem durch seinen ersten Schultag zusätzlich belastet ist, nicht mit einer derartigen Vulgärsprache beschimpft. Drinnen rufe ich bei meiner local coordinatorin an. Sie ist nicht zu Hause, dafür aber jemand anders. Ich bitte, eine Nachricht zu hinterlassen, dass wir sprechen müssten und ich heute Abend oder in den nächsten Tagen nochmals versuchen würde, sie zu erreichen. Auf die Nachfrage, ob sie mich zurückrufen solle, wenn sie nach Hause käme, entgegne ich, dass ich nicht wüsste, ob ich dann (frei) sprechen könne. Als ich dann noch sage, dass ich bei der Familie Cameron bin, scheint sich meine Gesprächspartnerin nicht mehr zu wundern.
Ich unterdessen fühle mich immer mehr als farm hand. Und anscheinend wird von mir auch noch erwartet, dass ich qualifiziert bin. Wenn ich bei etwas nicht sofort schreie „Nein, ich kann das nicht!“, sondern es erst einmal versuche(n möchte), dann legt man mir das hinterher negativ aus.

Ich setze mich in mein Zimmer an den Laptop, und die Ereignisse des Tages festzuhalten. Dann kommt Jill nach Hause, klopft an (ich habe zwischenzeitlich die Tür geschlossen) und fragt mich, ob ich Stuart gefragt habe, ob ich etwas für ihn tun kann. Ich schildere ihr die Vorkommnisse – und ringe dabei ein wenig um Fassung. Sie scheint fast ein wenig vertraut mit solchen Situationen, sagt nur „I’m gonna talk to him soon“ und entschwindet.
Ich sitze weiter an meinem Laptop, dann klopft Jill wieder an und sagt, dass Essen fertig ist. Ich sage, dass ich nicht hungrig bin und als sie dann fragt, auch, dass ich im Moment nicht sicher bin, ob ich mit den beiden sprechen möchte. Sie sagt, dass wir schon darüber sprechen müssen und ich meine, wir sollten das dann nach dem Essen tun. Jill fragt, ob ich Charlotte als meine Koordinatorin mit einbeziehen wollen würde, ich teile ihr mit, dass ich sie bislang noch nicht erreichen konnte und nicht wisse, wann sie wiederkommt. Jill entschwindet wieder und ich höre Stuart ihr irgendetwas entgegen murmeln.
*klopf klopf* kurze Zeit später ist sie wieder da, Charlotte sei jetzt am Telefon. Ich seufze ein wenig (hatte ich doch gebeten, nicht zurückzurufen), aber das Problem löst sich relativ einfach, weil Jill mir Privatsphäre zugesteht, indem sie die Schiebetüren zum Raum neben der Küche schließt.
Ich erläutere Charlotte die Problem, schön wie im Deutschunterricht gelernt bei den kleineren beginnend bis zum großen Höhepunkt „Fuck off“ und sie beginnt schon bei den kleinen Wehwehchen von Kulturschock zu sprechen. Den Eklat heute Nachmittag versucht sie damit zu erklären, dass Australier eine andere Weise hätten, sich auszudrücken und degradiert ihn zu einem Missverständnis. Ich hätte ja nicht sofort geantwortet, Stuart hätte davon ausgehen müssen, dass ich ihn nicht verstehe. Ich sage ihr, dass es Punkte gibt, über die man nur hinausgeht, wenn man es möchte und dass ich der Überzeugung bin, dass dies ein solcher Punkt war und der Wille da war. Ich erzähle ihr noch einige andere Sachen und sie bittet mich um Kommunikation und die Beobachtung der australischen Lebensweise. Dann möchte sie mit meinen Gasteltern sprechen, Stuart scheint sich berufen zu fühlen und steht auf.
Durch die Wand höre ich nur „everyday, everyday, everyday!“ und habe nicht den Eindruck, dass er sich gerade positiv über mich äußert. Nach zehn oder fünfzehn Minuten kommt er wieder ins Wohnzimmer ohne etwas zu sagen. Wir drei gucken stillschweigend weiter Fernsehen und ich denke darüber nach, ob und wenn ja wann wir denn nun miteinander reden wollen, bis Jill fragt, was denn nun bei Stuarts Gespräch mit Charlotte herausgekommen sei. Sie würde nach einer anderen Gastfamilie für mich suchen, sagt er. Und morgen anrufen und eventuell vorbeikommen. Als er wieder in die Küche geht, fragt Jill mich: „Did you ask to leave?“ und ich antworte wahrheitsgemäß mit „No, I did not“. Gleichzeitig fühle ich aber, wie mich ein wohlig warmes Gefühl durchströmt bei dem Gedanken an einen Gastfamilienwechsel. Ich finde, das ist irgendwie ein Zeichen.
Als Big Brother endlich zu Ende ist, gucken wir eine neue Folge der Piratenserie, die sich inhaltlich fast vollständig mit der vorhergehenden deckt. Jill fragt mich, ob ich lieber etwas anderes sehen würde und ich meine, dass sie das ruhig aussuchen könne, schließlich würde ich beide Serien, die derzeit liefen, noch nicht kennen.
„Pirates Master“ läuft länger, als es die anderen Serien tun und Jill geht um viertel nach acht ins Bett. Ich bleibe noch ein wenig, damit es nicht so aussieht, als flüchte ich und gehe dann auch in mein Zimmer. Zu müde und auch zu gestresst, um noch am Laptop den Tagesbericht fertigzustellen, falle ich in mein Bett, den Wecker auf fünf vor sechs gestellt.

Freitag der dreizehnte

Freitag, den 13. Juli 2007

Ich wache zwischen sechs und sieben Uhr auf, aber bleibe noch bis halb acht liegen, bis ich mich dazu aufraffe, aufzustehen. Die anderen sind auch schon alle auf und frühstücken, während ich mit einem Glas Milch vorlieb nehme und Jill das Haus verlässt.
Nach dem Frühstück fahre ich mit dem Mann von Jills Schwester nach Numurkah. Er werkelt dort mit ihrem Vater an seiner Motorsäge und dessen Computer. Ich besorge mit Jills Mutter meine Schuluniform bei „McPherson’s Mensland“: Zwei Hemden, einen Pullover, eine Hose. Das muss für den Anfang reichen. Zurück bei Jills Eltern hole ich das Frühstück mit zwei Toasts nach und habe das erste Mal seit dem Flughafen in Singapur die Möglichkeit, meine E-Mails zu lesen. Während ich den Spam aussortiere, erfahre ich, dass es bei Jill wohl nicht möglich sei, eine Breitbandverbindung zu bekommen. Und aus irgendeinem Grund funktioniere auch kein Breitband über Funk. Verflixt. Ich habe eine E-Mail von dem Funkamateur aus Shepparton erhalten, mit dem ich auch schon zuvor in Kontakt stand. Er bittet mich um einen Rückruf.

Als wir zurückkommen, verziehe ich mich kurz in mein Zimmer, um dann mit den Kindern und ihren Eltern auf eine nahegelegene Weide zu fahren, wo wir einige Äste zersägen und dann sortieren: Holz für den Kamin und Holz für das Lagerfeuer.

Weide

Ich habe selten ein Feuer so schnell brennen sehen wie dieses. Der Wind war stark und wir hatten Mühe, es anzubekommen, aber dann brannte es lichterloh. Wir lassen es brennen und kehren zurück auf die Farm, um zu Mittag zu essen. Hotdogs klingt zunächst nach einem gewohnten Essen. Wenn dann allerdings die Würstchen in einem penetranten Blutwurstrot gehalten sind, kostet es doch etwas Überwindung, sie – so ganz ohne Mayonaise, Ketchup und Röstzwiebeln, sondern stattdessen mit irgendeinem Chutney – zu essen. Aber schlussendlich ist es mir doch gelungen. Nach dem Essen bringen wir dem Mann von Jills Schwester einige Sandwiches, aber er ist schon auf dem Rückweg. Ich freunde mich mit den Pferden an, mache ein paar Fotos und hole Holz, um dann noch einige Erinnerungen am Laptop festzuhalten. Beispielsweise die Frage von Jills Neffen: „Do you have cows in Germany?“

Noch extremer, als ich es mir ohnehin schon vorgestellt habe, ist hier die Benutzung des „How are you?“ oder noch öfter „How are you doing?“. Und wie erwartet, reicht ein „Fine, thanks.“ völlig aus. Wenn es hochkommt, folgt darauf dann noch ein „good“, aber das ist schon recht selten. Die Verabschiedung erfolgt meist mit einem unverbindlichen „See ya!“.

Später versuche ich noch, den Funkamateur über seine Handynummer zu erreichen, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund klappt das nicht. Wähle ich die Nummer über meine CampusCard richtig, klingelt es nicht – wähle ich sie falsch, weist mich eine Computerstimmt zurecht.
Am Abend zeige ich noch einige Fotos, unter anderem vom Besuch der Emma Maersk in Bremerhaven im September 2006, den Pferden und meiner Familie und gehe noch früher als sonst ohnehin schon zu Bett: Um 8 Uhr, eine halbe Stunde bevor (anders als in Deutschland) hier der Spielfilm beginnt.


Stoppt die Vorratsdatenspeicherung! Jetzt klicken & handeln!Willst du auch bei der Aktion teilnehmen? Hier findest du alle relevanten Infos und Materialien: