arrival orientation

5.45 Uhr. Der Wecker klingelt, obwohl ich schon – wie üblich – aufgewacht bin, als Stuart und Jill zum Milken gegangen sind. Und das ist schon eine Weile her. Heute ist die arrival orientation in Melbourne. Sie beginnt zwar erst um 10 Uhr, aber weder Jill noch Stuart können mich dorthin bringen, weil sie auf der Farm zu tun haben. Dafür nehmen mich die Gasteltern einer anderen Austauschschülerin, die auch mit mir geflogen ist, mit.
Um zwanzig vor sieben ist Abfahrt nach Shepparton, Jill kommt gegen viertel vor hektisch zum Haus gelaufen und muss dann aber nochmal kurz hinein und dann soll Miss, eine der Hündinnen, noch ihr Geschäft verrichten. Ich finde es wirklich erstaunlich, dass sie das auf den Befehl „go to toilet“ auch anstandslos tut. Sofort.
Kurz nach sieben Uhr kommen wir in Shepparton an und weil noch nicht alle fertig sind, werde ich noch hinein gebeten. Ich sehe Lara wieder, neben der ich schon in Frankfurt im Vorbereitungsseminar eine Zeit lang saß. Und ich sehe Hanna(h?) und Tim, die zwei Kinder der Familie. Und zwei äußerst zuvorkommende Eltern. Wieder zwei Australier ohne diesen mürrischen Blick, den Stuart meist aufsetzt. Hat doch auch was irgendwie, so ein paar freundliche Gesichtszüge.
Und ich muss wieder an den Spruch „it’s not better, it’s not worse, it’s just different“ denken. Lara hat ein warmes – aufgeräumtes – Haus, einen Pool, zwei Pferde direkt nebenan und was weiß ich, was noch alles. That’s life.
Die Fahrt nach Melbourne nutzen Lara und ich, um ein paar deutsche Worte zu wechseln, während alle anderen schweigend die wechselnd gute Aussicht genießen. Ich bemerke erstaunt, dass der drive in in Australien nicht drive in, sondern drive through heißt – was ja irgendwie auch wesentlich sinnvoller ist.

BurgerKing Drive-In auf Australisch

Vielleicht traut man uns Deutschen nicht zu, zu wissen, was das Wort „through“ bedeutet und hat es deshalb abgeändert? Und ich sehe wieder einmal einen ALDI. Wenn ich Zeit habe – und auch irgendwen, der ein Auto hat und der auch Zeit hat – muss ich unbedingt einmal dort hineinschauen und gucken, was dort so angeboten wird.Als wir schließlich ankommen, sind wir just on time, als wir das Universitätsgelände betreten. Unser Weg führt uns, ganz ohne jeglichen Wegweiser durch ein Eingangsgebäude und einen Innenhof in ein alterwürdiges Gebäude mit viel Holz
Die arrival orientation selbst gestaltet sich in gewohnter Seminarmarnier – sei es nun Eltern-, Vorbereitungsseminar oder sonst ein anderes. Nach einer Begrüßung geht es in die Gruppenarbeit. Diesmal sollen wir eine Karte von Australien zeichnen. Mein Sitznachbar, auch ein Deutscher, zeichnet ganz exzellent die Küste und hilft mir dann, die Staaten und Territorien einzuzeichnen. Auf der anderen Seite von mir sitzt eine Schwedin, die sich an einigen Hauptstädten versucht. Einige Austauschschüler weiter und einige Runden später ist die Karte noch immer nicht fertig, aber wir werden angehalten, zum nächsten Teil der Veranstaltung zu kommen.

arrival orientation

Außer den verschiedenen Gruppenarbeiten (mit gemischten Nationen und auch sortiert) gibt es noch Lunch: Sandwiches und eine Art Jugendherbergssaft mit einem ganzen Haufen Eis. Man stelle sich das vor: Ich sitze dort im Pullover ungefähr sechs Meter von der Tür entfernt und wünsche mir nicht sehnlicher, als dass man sie schließt.
Was wir außerdem noch taten, war genau wie das, was wir in Frankfurt vor der Abreise taten – wir schrieben einen Brief an uns selbst und taten ihn in eine „Zeitkapsel“. Ich zog es vor, das Programm der orientation in die Kapsel zu tun, vielleicht kann ich ja bei dem Treffen vor der Abreise etwas damit anfangen.
Außerdem gibt es noch einen Vortrag über allerlei australische Gegebenheiten von einer Dame, die uns mit einem amerikanischen Akzent Abwechslung beim Zuhören verschafft, dafür aber derart laut in ihr Mikrofon spricht, dass unsere Trommelfälle diese Abwechslung nicht wirklich genießen können. Sie stellt das Schulsystem als ein Schulsystem vor, das ausschließlich aus Gesamtschulen besteht. Die Kurse seien üblicherweise in der Größe zwischen 24 und 26 Schülern, mehr als 26 sei zumeist per Gesetz verboten. Koorperatives, individuelles Lernen sei meist anstelle von Frontalunterricht an der Tagesordnung. Klingt wie die Qualitätsmerkmale für gute Schule in Niedersachsen.
Einige Tipps gibt man uns mit auf den Weg, beispielsweise den Antrag für eine spezielle Karte, mit der Schüler und Studenten Vergünstigungen in Bus, Bahn und an anderen Orten erfahren können. Macht allerdings natürlich nur Sinn, wenn ein Bus oder eine Bahn in der Nähe abfährt, beziehungsweise überhaupt irgendetwas in der Nähe ist. Sollte man dann doch mal die Möglichkeit haben, einen Bus zu benutzen und würde seine Füße auf den gegenüberliegenden Sitz stellen, so koste einen der Spaß gleich einmal 100 australische Dollar. Wir sollten also nach Möglichkeit davon absehen.
Unsere Versichertenkarte der medibank sollten wir bereits in den letzten Tagen erhalten haben, was bei einigen auch der Fall war. Ich vermute, zu uns braucht die Post länger. Dann bekamen wir noch ein Codewort für absolute Notfälle für Anrufe bei der SCCE-Hotline. Das students handbook zählt auch einige Szenarien auf, für die es gedacht ist: Häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe. Der vortragende managing director von SCCE nannte außerdem alles, in das die Polizei verwickelt sei oder im Begriff sei, verwickelt zu sein, einen Grund, das Codewort zu nennen. Bei der Drucklegung des students handbook schien allerdings noch ein anderes Codewort aktuell gewesen zu sein. Und alle, die es noch nicht gelesen haben, sondern es vielleicht später tun werden, werden wohl ein wenig verwundert sein. Das mag in den allermeisten Fällen gutgehen, aber in den wenigen, in denen es das nicht tut, können die Auswirkungen katastrophal sein.
Und dann habe man noch eine Ausfertigung der SCCE-Regeln für uns. Eine ganz tolle Sache, diese Regeln. Nur, dass wir sie schon mindestens zwei Mal hier in Australien bekommen haben und die STEP IN-Regeln sehr ähnlich sind. Ein Österreicher an meinem Tisch hatte sie sogar sage und schreibe acht Mal erhalten.

Neben dem Seminarprogramm und den Gruppenfotos ist noch gut Zeit, sich mit den anderen Austauschschülern zu unterhalten. Und ich muss sagen, das ist eigentlich der wesentlich interessantere Teil der gesamten Veranstaltung. Und es stellt sich dabei heraus, dass alles „just different“ war. Von 10-Monats-Austauschschülern, die ihre Zeit in Australien auf fünf Monate reduzierten und welchen, die direkt im Haushalt des managing directors von SCCE untergebracht waren („nur für ein paar Wochen“) bis hin zu welchen, die jeden Tag bis elf Uhr schliefen, welchen, die vier Gastgeschwister haben oder welchen, die die vergangenen drei Tage nahezu ausschließlich mit Shoppen mit ihren Gastmüttern verbracht haben, ist alles vertreten. Wenn ich erzähle, dass ich auf einer Farm bin, sind die meisten Austauschschüler zunächst begeistert gewesen („Oh, eine Farm! Wie cool!“), wenn ich dann aber berichte, wie ich morgens, wenn die anderen noch schlafen, Holz hacke und dass wir keine Heizung haben, sondern nur einen Kamin, legt sich die Begeisterung schnell, was ich auch nicht sehr verwunderlich finde offen gestanden.

Nach der arrival orientation treffen wir noch Freunde der Gastfamilie von Lara in einem Cafe in Melbourne. Und mir geht wieder einmal auf, dass das Treffen von verschiedenen Australiern und das Sehen verschieder Plätze von Australien etwas ist, das mir hier fehlt. Ebenso werde ich nicht mit meiner Gastfamilie in den Urlaub fahren, so wie es mindestens eine handvoll Austauschschüler, mit denen ich gesprochen habe, tun.
Während des Gespräches stellt sich heraus, dass die Australier anscheinend keine Salzstangen kennen. Ich suchte das Wort im Wörterbuch und erklärte es ihnen, aber Laras Gastmutter dachte an eine Brezel. Ich trinke eine heiße Schokolade. Eine ganz normale, während es in dem Cafe ungefähr zehn verschiedene CocoDrinks, also Kakaokreationen gibt. Als wir das Cafe wieder verließen, sah ich unter einem unauffällig im Vordach verborgenen, aber deutlich spürbaren Wärmestrahler jemanden mit einer Cola sitzen. Draußen. Mit Eis. Und ich war wieder einmal erstaunt, was für Sachen es doch gibt.

Auf der Fahrt zurück nach Shepparton holte der Schlaf mich ein, noch bevor wir auf dem Freeway waren. Wir machten an der selben Raststätte Halt wie am Mittwoch, als Jill mich vom Flughafen abholte. Obwohl ich im Auto sitzen bleibe, weil mir kalt ist und ich gerne schlafen möchte, bekomme ich etwas zu Essen: Laras Gastmutter bringt einen Becher (Becher, nicht Tüte!) Pommes Frites mit, den wir Kinder uns teilen. Danach schlafe ich irgendwann wieder ein, bis Lara mich antickt, als wir gerade in die Einfahrt einbiegen.
Wir gehen ins Haus und es ist ein wenig kalt. Laras Gastvater macht die Heizung (anscheinend eine in der Wand eingelassene Gasheizung) an und ihre Gastgeschwister versuchen sich gegenseitig den Platz davor streitig zu machen. Dann geht plötzlich das Licht aus. Zuerst denken wir an einen Stromausfall, aber dann fällt uns auf, dass die Uhr am Ofen und an der Mikrowelle noch an sind. Tim und sein Vater gehen gucken und wenig später funktioniert wieder alles, wie es soll.

Um es noch ein wenig wärmer zu kriegen, machen wir den Ofen an. Interessantes Wort übrigens, das „wir“. Habe ich das eigentlich schon mal im Bezug auf Jill und Stuart benutzt? Es ist nicht so, dass ich daran beteiligt gewesen wäre, es ist nur das Wir-Gefühl. Just something to think about.
Interessant ist auch, dass das Holz gemeinsam geholt wird – von Laras Gastschwester und ihrem Vater. Als das Feuer lodert, kommt Tim herein und bringt uns alle zum Lachen, als er unvermittelt fragt: „Does anyone just wanna play Poker?“. Er, Lara und ihr (Gast-)Vater beginnen eine Runde zu spielen und für meinen Geschmack viel zu früh steht plötzlich Stuart im Wohnzimmer. Ich hätte gerne noch ein wenig bei ihnen verweilt, aber bis zu dem Zeitpunkt, als Stuart es dann erwähnte, wusste ich nicht, dass auch ich morgen keine Schule haben würde.

Als ich später von dem Tag erzähle, meint Jill noch „and you don’t have anyone here“. Abends denke ich darüber nach. Es ist schon irgendwie ein komisches Gefühl. Nicht, dass ich Heimweh hätte. Es ist nur … einerseits die Kälte. Und dann auch noch die Kälte.
Erwähnte ich schon, dass Stuart, als ich die Pläne meines Amateurfunkfreundes, am Samstag einmal vorbeizusehen und sich vorzustellen, mitteilte, gleich Gedanken kundtat, ob er nicht vielleicht ein Terrorist sei? Eine sehr tolle Sache, solche Kommentare, wenn man gerade dabei ist, herauszufinden, was Normalität für seine Gastfamilie bedeutet.

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Eine Reaktion zu “arrival orientation”

  1. Kathi

    omg dieses orientation war ja vllt groß bei dir… mit mirco :O
    wie waren zu 4. Franzi und ich, eine franzosin mit der ich nach Lismore geflogen bin und noch eine aus Finnland und wir sahßen in der garage unserer local coordinator und haben pizza gegessen =)

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