Oh sorry! *hmpf*

Halb sechs. Ich bin wach und genieße die einzigen Stunden am Tag, in denen ich mir relativ sicher sein kann, dass mich niemand in meiner Ruhe stört. Dann, um elf Minuten nach sechs das allmorgendliche Tuten. Ich habe keine Ahnung, woher es kommt, aber es ist jeden Tag da um die selbe Zeit und nach so ungefähr zehn Sekunden hört es abrupt wieder auf.

Um kurz nach acht stolpere ich mehr oder weniger in die Küche. Als Jill fragt, wie es mir ginge (nicht, dass sie wirklich fragen würde, nur das übliche „How are you doin‘?“), antworte ich mit dem sonst für Stuart typischen „not bad“ und überlege im gleichen Moment, dass das eigentlich nicht so wirklich wahr ist.
Kurz darauf kommt Stuart hinein und beginnt zu frühstücken. Er zweifelt wieder an, dass ich morgen zur Schule rechtzeitig auf sein würde. Dann sagt er: „It’s warm outside, isn’t it? Oh, sorry – you may probably not know! Probably“. Irgendwann, irgendwann…

Jill fragt mich, ob ich heute Nacht im Schlaf gesprochen habe und mir fällt einer meiner Träume wieder ein. Sie sind allesamt schlecht gewesen, wie alle, seit ich hier bin.
Während eines Traumes bin ich aufgewacht und weiß noch, dass ich gegen die Wand geschlagen habe; die Storyline eines anderen bestand daraus, dass jemand mit einem Auto gegen so einen großen, runden Bierwagen gefahren ist, wie es sie auf größeren Sportveranstaltungen gibt.
Aber sie sind nicht interessiert, zu erfahren, was ich geträumt habe. Es war eben halt nur das übliche „How are you doin‘?“ heute morgen, genau so wie sie es fragen, wenn sie eine Nummer aus einer Werbeanzeigen anrufen und sich nach Preisen erkundigen. Nicht das „Wie geht es dir, mein Sohn?“.

Als er mit dem Essen fertig ist, sieht Stuart stillschweigend eine CSI-Folge. Ich mache die Milch alle (schon fast unglaublich bei 2-Liter-Packungen und 160 Kühen, die zwei Mal am Tag gemolken werden) und frage ihn, ob noch welche im Kühlschrank bei der Melkmaschine ist. Nein, da sei keine mehr, sagt er. Im Moment würde alles passen, meine ich. Das müsse es auch, entgegnet Stuart, er würde nämlich nicht aufstehen, um neue zu holen.
Später setze ich mich zu ihm und gucke die CSI-Folge bis zum Ende, obwohl ich sie schon kenne. Es ist interessant, die Schauspieler mit ihrer eigenen Stimme anstelle der Synchronstimme sprechen zu hören.
Als er wieder rausgeht, räume ich einiges Geschirr in die Schränke. Eine der Aufgaben, die ich gerne erledige: Es ist wärmer als draußen und ich laufe Stuart mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht über den Weg.

Heute benutze ich zum ersten Mal für längere Zeit dem Wärmestrahler im Badezimmer, denn obwohl es ein wenig wärmer geworden ist, ist es immer noch bitterkalt dort drinnen. Nicht zum ersten Mal habe ich heute wieder die Wahl zwischen Verbrühungen und Erfrierungen und ich kann mich genau so wenig für eines der beiden entscheiden wie die Dusche. Und dann fällt mir wieder auf, dass ich anscheinend der einzige in diesem Haushalt bin, der sich darum sorgt, dass es noch andere Leute geben könnte, die die Dusche benutzen, und etwaige Haare zumindest in den Ausguss spült.
Trotz der Wärme, die der Strahler verbreitet, sind meine Hände und Füße eiskalt. Ich glaube, ich werde keine Heizung mehr brauchen, wenn ich nach Deutschland zurückkomme.

Im Radio höre ich wieder P!nk und kann zumindest ein wenig entspannen. Stuart ist draußen und füttert irgendwelche Kühe auf irgendwelchen Weiden, mir ist das herzlich egal. Ich hole nur kurz Holz und entschwinde dann wieder nach drinnen. Wir haben übrigens, anders als ich es Samira gestern erzählte, doch so eine Art motorbike, glaube ich. In Deutschland würde ich es wohl Quad nennen. Stuart fährt mit solch einem Gefährt und einem Trailer voll mit Futter zu den Kühen.
Ich blättere ein wenig durch die Broschüren von STEP IN und lächle ein wenig verbittert über Passagen wie „Deine Gastfamilie möchte Dich als richtiges Familienmitglied in ihr Leben eingliedern, also Erfahrungen und Spaß mit Dir teilen“ oder „Ein Hauptgrund dafür, Dich als zusätzliches Familienmitglied aufzunehmen, liegt sicherlich im Interesse an der deutschen Kultur“.

Dann widme ich mich zum bereits zweiten Mal in nicht einmal einer Woche in meinem Zimmer dem Staubsaugen. Creepy.
Als ich fertig damit bin und gerade eine leere Milchpackung in die Recyclingtonne bringe, kommt Stuart mit (s)einem der Hunde herein (den anderen hat Jill stets mit) und setzt sich wieder vor den Fernseher.

Hund

Während meine Hände wieder kälter werden, gehe ich wieder in mein Zimmer und beginne zum ersten Mal, meine Zeit richtig zu verschwenden. Ich spiele Tomb Raider – nicht, weil es mir besonders viel Spaß machen würde, sondern weil ich nichts anderes zu tun weiß. Und weil es mir nicht besonders viel Spaß macht, höre ich nach zehn Minuten wieder damit auf.
Ich setze mich zu Stuart vor den Fernseher, der Film, den er guckt, ist so eine Art Horrorfilm. Zwei Frauen fahren eine Leiche durch die Gegend. Stuart macht sich etwas zu essen.
Als er aufgegessen hat und heißes Wasser in das Spülbecken einlässt, um sich dann wieder dem Fernseher zu widmen, mache auch ich mir etwas zu essen. Vier Toasts, zwei mit Butter, eines mit dünnem Schinken, eines mit Käse. Dazu ein Glas Honigmilch und eines mit „Sipahh“, Geschmacksrichtung Kakao, für mich hier gelassen von Jills Schwester.

Und jetzt habe ich einen Geistesblitz: Auf meiner externen Festplatte tummeln sich noch einige Mitschnitte aus dem deutschen Fernsehen, darunter Sonnenallee, Dirty Dancing, Nur ein kleines bisschen schwanger und 30 über Nacht. Ich entscheide mich für Sonnenallee und genieße eineinhalb Stunden deutsches Fernsehvergnügen so ganz für mich allein. In Gesellschaft wäre es sicherlich vergnüglicher, aber mit der ist es hier ja nicht sonderlich weit her.

Danach mache ich mir so meine Gedanken und während ich das tue, staubsauge ich die Küche, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, das andere Gästezimmer, den Raum neben der Küche, den Flur und das Büro. Und nachdem ich vor einigen Jahren mal in einem spektakulären Selbstexperiment den durchschnittlichen Staubniederschlag pro Jahr festgestellt habe, kann ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass dort vor dem Schreibtisch seit ungefähr eineinhalb bis zwei Jahren nicht mehr gesaugt worden sein muss.
Jill und Stuart sind noch immer draußen, aber ich glaube, ich habe nun erst einmal genug getan. Das Geschirr hat auch schon wieder in den Schrank zurückgefunden und Holz ist auch noch da. Ich genieße einige Stücke deutsche Musik. Es wird später und später, morgen wird mein erster Tag in der Schule sein.

Als Jill später dann hereinkommt, bittet sie mich, noch mehr Holz zu holen. Ich bin etwas verwundert, der Wagen ist fast voll. Aber nun gut, bitte. Und ich solle noch einmal zu den Hühnern gucken, aber die sind mit schon fast deutscher Ordnungsliebe weggesperrt.
Ich vergleiche mich mit anderen Austauschschülern, deren Gasteltern im Büro arbeiten. Die würden sie nicht mitnehmen zur Arbeit. Von mir hingegen wird ganz selbstverständlich erwartet, dass ich auf dem Hof mithelfe. Und zusätzlich natürlich noch im Haus. Das ist schon kurios und – irgendwie auch ungerecht.
Wobei, die letzten zwei Tage bin ich ein wenig dabei, auszutesten, ob ich mithelfen muss. Ich schätze nur, sie werden es für eine gewisse Zeit tolerieren und dann meckern. Mal sehen, wie das wird, wenn morgen die Schule beginnt.

Zum Abendessen gibt es Bohnen mit Toast. Stuart fragt mich, wie viele Scheiben Toast ich haben möchte. Eine oder zwei, antworte ich. Eine oder zwei, fährt er mich an, ich solle mich entscheiden. Das gefälligst lässt er weg, aber es hätte gepasst. Hilfe! Ich entscheide mich für eine.

Das Essen soll das – wie Stuart sagt eines der – Lieblingsessen von der Austauschschülerin aus Bremen gewesen sein und ich denke, es könnte auch meines werden. Aber ich habe nicht sehr viel Hunger.

Danach wieder das übliche Big Brother-Gucken und darauf eine Polizeiserie. Interessant, dass man in Australien anscheinend der Meinung ist, dass das Laufen über ein Footballspielfeld (bekleidet wohlgemerkt) genau so schwer wiegt wie der Besitz von Drogen auf der Toilette des Stadions: Beide Täter werden zu fünfhundert Dollar Strafe verurteilt.

Dass ich früh zu Bett gehe, muss ich nicht erwähnen, oder? Und das, obwohl heute Dr. House kommt und ich die Folge noch nicht kenne.

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Eine Reaktion zu “Oh sorry! *hmpf*”

  1. Kathi

    dr. house läuft hier?! echt.. awwww
    freu dich mal lieber das du tv guckst.. hier hab hier eig noch nie tv geguckt weil die immer nur son scheiß gucken wobei naja.. kein kommentar zu bigbrother >.

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