Archiv der Kategorie 'bei Jill und Stuart'

ein Tag voller Erlebnisse *hust* uups, Blitzhusten

Donnerstag, den 19. Juli 2007

Ich bin früh wach wie üblich, aber heute höre ich den sechs Uhr elf Ton irgendwie nicht.
Heute wird mein erster Tag in der Schule sein, gestern habe ich schon meine Uniform herausgelegt und von allen Preisschildern befreit und einen Block, meine Federtasche und den student planner eingepackt. Jetzt fällt mir ein, dass ich auch noch einen Taschenrechner brauchen könnte. Das blöde ist nur, dass ich den Krams nicht einfach irgendwo lassen kann, ich habe noch kein Schloss für mein Schließfach (ich habe ja auch noch kein Schließfach). Und außer in Mathematik soll ich ihn auch nicht mit in den Raum bringen. Blöde Zwickmühle.
Ich denke noch ein wenig darüber nach und packe unterdessen Geld aus, das Kleingeld (immerhin fünf Dollar fünfzehn) muss für heute reichen, morgen sehen wir dann weiter. Was ich mit meinem PDA mache, ist mir auch noch nicht so ganz klar, aber ich glaube, ich werde ihn mitnehmen. Kommt drauf an, ob er in die Tasche passt.
7.26 Uhr. Wenn es in Deutschland so spät wäre, würde ich gerade in den Bus einsteigen. Hier bleibt mir noch fast eine Stunde Zeit. Ich denke daran, dass MP3-Player in einigen Unterrichtsstunden erlaubt sind und entscheide mich gegen meinen PDA und für meinen MP3-Player. Da Jill noch immer im Badezimmer ist, verharre ich mit meinem Laptop im Bett.
Ein paar Minuten später schwinge ich mich aus dem Bett, ziehe meine Schuluniform an und suche die letzten Sachen zusammen. Zwischen zehn vor acht und fünf vor acht klopft Jill an und fragt, ob ich nichts frühstücken wollen würde, es sei schließlich schon kurz vor acht. Ich verneine, ich habe keinen Hunger. Ein paar Minuten im Bad, dann mache ich mir zwei Toasts mit Erdnussbutter. Ich frage Stuart, wie ich die beiden am besten zur Schule kriegen würde und er gibt mir eine kleine Plastiktüte. Um viertel nach acht verabschiede ich mich von den beiden – in der Gewissheit, dass die Uhr einige Minuten vorgeht und bepackt mit Müll für die Recycling-Tonne. Heute stünde die Tonne vorne an der Straße, sagt man mir und so gehe ich nach vorne. Während ich das tue – und mir das leere Erdnussbutterbehältnis herunterfällt, sehe ich einen Schulbus vorne an der Straße vorbeifahren. Ich entziffere die Aufschrift und stelle fest, dass er zu einer Grundschule fährt. Vorne angekommen werfe ich den Müll in die Tonne und gerade, als ich das tue, sehe ich einen anderen Bus auf mich zurauschen. Ich reiße den Arm hoch, aber der Bus fährt weiter. Scheiße, denke ich. Jill hat gesagt, ich müsse ihr Auto waschen, wenn ich den Bus verpassen würde und sie mich zur Schule fahren müsste (Stuart ergänzte, dass ich es mit der Zahnbürste tun müsste.) und das steigert meine Laune nicht umbedingt. Ich bleibe noch draußen stehen und überlege mir, wie ich es den beiden erklären soll. Mir fällt auf, dass ich bedauerlicherweise nicht einmal eine Uhr trage oder dabei habe, um zu überprüfen, ob ich wirklich zu spät bin.
Dann aber erscheint am Horizont (na ja, fast am Horizont) die Rettung, ein weiterer Schulbus biegt auf die Straße ein, an der ich stehe. Und dieser hält. Ein freundlicher Busfahrer guckt mir entgegen, meint, ich solle mir nur einfach hinten einen Sitz suchen und fährt dann weiter.
Ich setze mich in eine der leeren Reihen in der Mitte des Busses. Hinter mir sitzen die Schüler der Numurkah Secondary School, vor mir die der Primary School. Zusätzlich zu dem ohnehin schon recht lauten Grundgeräuschpegel ertönt aus den Lautsprechern im Bus Radiomusik. Gute Musik, keine Frage, der selbe wie den, den ich an meinem Radio eingestellt habe. Nur halt etwas ungewohnt.
Zwei Ecken weiter wundere ich mich, warum Samira nicht an der Straße steht. Doch der Bus fährt einen komischen Weg – oder vielmehr Umweg -, so dass ich mir vorstellen könnte, dass er später an der gleichen Stelle noch einmal vorbeikommt.
Wir fahren noch eine ganze Zeit umher, picken weitere Schüler auf und lassen andere aussteigen, bevor wir an meiner Schule ankommen. Ich gehe zielstrebig über den Schulhof und zum Sekreteriat, um dort meine Unterlagen abzugeben. Die Beratungslehrerin, die mit uns auch schon die Fächer ausgesucht hat, ist noch im allmorgendlichen staff briefing im Lehrerzimmer, also nehme ich noch für einige Minuten Platz.
Dann sehe ich plötzlich Samira von ihrem Gastvater zur Schule gebracht werden und zur gleichen Zeit ist auch das staff briefing zu Ende. Chiara (ich bin mir noch immer nicht ganz über die Schreibweise im Klaren), die italienische Austauschschülerin, und Samira bekommen ihre buddies – meiner ist nicht da und taucht auch nicht auf, als er ausgerufen wird. Also werde ich von der Beratungslehrerin zur homegroup gebracht, einer Art Zusammenkunft für organisatorische Zwecke jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn. Dort sitzt auch mein buddy – und hat zwei „Stöpsel“ seines Ipods im Ohr, was erklärt, warum er nichts gehört hat.
Da die homegroup jahrgangsübergreifend besteht und es an diesem Morgen augenscheinlich nichts von wirklicher Bedeutung zu besprechen gibt, ist eher eine Art freien Plauderns in gedämpfter Lautstärke an der Tagesordnung.
Für die ersten zwei periods steht Mathe auf dem Stundenplan (der übrigens sehr interessant aussieht so ohne Mittwoch). Ich bin in den höchsten von drei verschiedenen Mathekursen eingestuft, der gleich im Raum nebenan stattfindet. Das Thema ist interessant: Trigometrische Funktionen, also genau das, was wir in den letzten Monaten rauf und runter gemacht haben. Die Stunde verbringe ich damit, einige Sachen erklärt zu bekommen, die ich ohnehin schon weiß und damit, einige fehlende Seiten in Dreiecken auszurechnen.
Während all dessen läuft immer wieder eine „Elefantengruppe“ vorbei, auf der anderen Seite der Wand ist die Turnhalle und dort scheint eifrig gestampft zu werden, der Lärm ist stellenweise schon fast ohrenbetäubend.
Danach stehen zwei Stunden Englisch an, wobei Englisch hier eher so etwas ist wie es Deutsch in Deutschland ist: Ein Fach, in dem vor allem die Themenarbeit im Vordergrund steht. Und hier ist es für die nächste Zeit ein Thema, das sich mit verschiedenen Zukunftsvisionen befasst. Zunächst sprechen wir über George Orwells 1984 (oder vielmehr die Lehrerin spricht, außer mir kennt das Buch nämlich keiner, wobei ich zugegeben muss, dass ich es auch nicht gelesen habe), dann über einen Herren namens Aldous Huxley, der das Buch „Brave New World“ geschrieben habe und darin die von Ford eingeführte Massenfertigung am Fließband auf die Fortpflanzung des Menschen übertragen habe und schließlich – tadada – über Gattaca, einen Film aus der jüngeren Zeit, in dem es, grob gesagt, um Diskriminierung aufgrund von Erbanlagen geht und daraus resultierende Situationen geht. Und genau diesen Film habe ich schon drei Mal gesehen, das letzte Mal im Religionsunterricht, was ein Grund dafür ist, weshalb ich ihn auch schulisch schon eingehend beleuchten konnte. Um so besser für meinen Start hier in Australien, dass ich den Stoff schon kenne – und interessant ist es allemal, einen Film in seiner Originalsprache zu sehen, wenn man sich nicht die ganze Zeit darauf konzentrieren muss, die Handlung zu verstehen.
Den Film sehen wir übrigens über den Beamer, der in jedem Raum an der Decke angebracht ist. Faszinierende Geschichte; Boxen gibt es übrigens auch entsprechend zwei neben der Projektionswand.

Nach vier Stunden mehr oder minder harter Arbeit folgt die große Mittagspause, eine Stunde lang. Von meinem Buddy war schon nach den ersten zwei Stunden nichts mehr zu sehen und so sitze ich, wie auch in der ersten Pause schon, mit der vorherigen Austauschschülerin auf dem Hof von Jill und Stuart und ihrem Freundeskreis zusammen. Mehrmals bemerke ich erstaunt, dass es nur Mädchen sind, aber mir dünkt, die sind einfach kommunikativer und auch integrativer (hoffentlich gibt es dieses Wort überhaupt in dieser Bedeutung).
Die letzten beiden Stunden bedeuten für mich ein wenig Entspannung, Informatik steht an und ich bekomme nicht nur meinen Login für das Schulnetz, sondern auch die Möglichkeit, nahezu die ganzen zwei Stunden im Internet zu surfen, während ich mich nebenbei noch ein wenig dem Pseudocode widme, der dafür sorgen soll, dass eine Tasse Kaffee fertig wird oder ein Roboter den Weg von einem Tisch zur Tür findet. Eine Woche ohne Internet bleibt nicht ohne Spuren, elf neue Kommentare in meinem Blog und sechshundert E-Mails, das meiste davon Spam.

Es gibt im Leben nur wenige Momente, die mir vollständig die Sprache rauben. Heute war einer davon. Ich komme um kurz nach vier Uhr nach Hause, ein wenig gestresst vom ersten Tag in der neuen Schule ohne Fünf-Minuten-Pausen. Ich gehe ins Haus, trinke eine Honigmilch und esse zwei Toasts, quasi ein verspätetes Mittagessen. Dann versuche ich, meinen Vater in Deutschland zu erreichen und vereinbare mit ihm ein Telefonat für morgen früh. Danach tausche ich meine Schuluniform (das Hemd ist übersät mit blauen Flusen, weil der Pulli noch nicht gewaschen wurde) gegen Farmkleidung und gehe nach draußen, um Holz zu holen, der Wagen ist nämlich fast leer. Ich sehe, dass Stuart anscheinend welches gehackt hat, einige frische Scheite liegen auf dem Rasen. Ich packe große und kleine in den Wagen, wie üblich, bringe ihn dann zur Eingangstür und gehe dann zu Stuart. Auf mein „Hi“ erfolgt nur ein „Did you miss the bus?“. Ich denke über den Weg zur Schule nach, dann über den von der Schule und verneine. Was ich denn dann die ganze Zeit gemacht hätte, fragt er, jetzt sei er längst fertig. Holz geholt, entgegne ich, es sei nämlich keines mehr im Wagen gewesen und das Feuer wäre auch nahezu aus. Ob ich überhaupt Holz hacken könne, fragt er, ich würde schließlich immer eine Mischung aus kleinen und großen Stücken bringen. Ich schaue verwirrt, schließlich hat Jill mich gerade gestern gebeten, größere Holzstücke zu holen und selbst da habe ich mich schon gewundert, weil Stuart, als er mir es erklärte, sagte, ich solle zwei oder drei große (von mir aus auch drei oder vier, den großen Unterschied macht das nicht) Stücke mit kleineren Mischen. Vielleicht definieren wir klein und groß auch einfach anders, wundern würde es mich nicht sonderlich. Er fragt erneut: „Can you split wood? Simple question: Yes or no?“ – ich würde ihm gerne erklären, dass ich nur die kleineren der größeren Stücke zerteilen kann, aber mir bleibt aufgrund der – leicht, aber nur leicht, ganz leicht suggestiv angehauchten – Fragestellung nichts anderes übrig, als zu antworten: „Then no.“
Darauf folgt der Teil, der mich sprachlos macht. „Fuck off“ ist dabei noch eines der freundlicheren Worte und ich glaube, ich kann froh sein, nicht alle Wörter zu verstehen. Stuart schickt mich ins Haus. Ich gehe, ungläubig den Kopf schüttelnd. Es ist für mich absolut indiskutabel, dass man bei solche einer vergleichsweise banalen Begebenheit einen Austauschschüler, der gerade einmal eine Woche bei einem und zudem durch seinen ersten Schultag zusätzlich belastet ist, nicht mit einer derartigen Vulgärsprache beschimpft. Drinnen rufe ich bei meiner local coordinatorin an. Sie ist nicht zu Hause, dafür aber jemand anders. Ich bitte, eine Nachricht zu hinterlassen, dass wir sprechen müssten und ich heute Abend oder in den nächsten Tagen nochmals versuchen würde, sie zu erreichen. Auf die Nachfrage, ob sie mich zurückrufen solle, wenn sie nach Hause käme, entgegne ich, dass ich nicht wüsste, ob ich dann (frei) sprechen könne. Als ich dann noch sage, dass ich bei der Familie Cameron bin, scheint sich meine Gesprächspartnerin nicht mehr zu wundern.
Ich unterdessen fühle mich immer mehr als farm hand. Und anscheinend wird von mir auch noch erwartet, dass ich qualifiziert bin. Wenn ich bei etwas nicht sofort schreie „Nein, ich kann das nicht!“, sondern es erst einmal versuche(n möchte), dann legt man mir das hinterher negativ aus.

Ich setze mich in mein Zimmer an den Laptop, und die Ereignisse des Tages festzuhalten. Dann kommt Jill nach Hause, klopft an (ich habe zwischenzeitlich die Tür geschlossen) und fragt mich, ob ich Stuart gefragt habe, ob ich etwas für ihn tun kann. Ich schildere ihr die Vorkommnisse – und ringe dabei ein wenig um Fassung. Sie scheint fast ein wenig vertraut mit solchen Situationen, sagt nur „I’m gonna talk to him soon“ und entschwindet.
Ich sitze weiter an meinem Laptop, dann klopft Jill wieder an und sagt, dass Essen fertig ist. Ich sage, dass ich nicht hungrig bin und als sie dann fragt, auch, dass ich im Moment nicht sicher bin, ob ich mit den beiden sprechen möchte. Sie sagt, dass wir schon darüber sprechen müssen und ich meine, wir sollten das dann nach dem Essen tun. Jill fragt, ob ich Charlotte als meine Koordinatorin mit einbeziehen wollen würde, ich teile ihr mit, dass ich sie bislang noch nicht erreichen konnte und nicht wisse, wann sie wiederkommt. Jill entschwindet wieder und ich höre Stuart ihr irgendetwas entgegen murmeln.
*klopf klopf* kurze Zeit später ist sie wieder da, Charlotte sei jetzt am Telefon. Ich seufze ein wenig (hatte ich doch gebeten, nicht zurückzurufen), aber das Problem löst sich relativ einfach, weil Jill mir Privatsphäre zugesteht, indem sie die Schiebetüren zum Raum neben der Küche schließt.
Ich erläutere Charlotte die Problem, schön wie im Deutschunterricht gelernt bei den kleineren beginnend bis zum großen Höhepunkt „Fuck off“ und sie beginnt schon bei den kleinen Wehwehchen von Kulturschock zu sprechen. Den Eklat heute Nachmittag versucht sie damit zu erklären, dass Australier eine andere Weise hätten, sich auszudrücken und degradiert ihn zu einem Missverständnis. Ich hätte ja nicht sofort geantwortet, Stuart hätte davon ausgehen müssen, dass ich ihn nicht verstehe. Ich sage ihr, dass es Punkte gibt, über die man nur hinausgeht, wenn man es möchte und dass ich der Überzeugung bin, dass dies ein solcher Punkt war und der Wille da war. Ich erzähle ihr noch einige andere Sachen und sie bittet mich um Kommunikation und die Beobachtung der australischen Lebensweise. Dann möchte sie mit meinen Gasteltern sprechen, Stuart scheint sich berufen zu fühlen und steht auf.
Durch die Wand höre ich nur „everyday, everyday, everyday!“ und habe nicht den Eindruck, dass er sich gerade positiv über mich äußert. Nach zehn oder fünfzehn Minuten kommt er wieder ins Wohnzimmer ohne etwas zu sagen. Wir drei gucken stillschweigend weiter Fernsehen und ich denke darüber nach, ob und wenn ja wann wir denn nun miteinander reden wollen, bis Jill fragt, was denn nun bei Stuarts Gespräch mit Charlotte herausgekommen sei. Sie würde nach einer anderen Gastfamilie für mich suchen, sagt er. Und morgen anrufen und eventuell vorbeikommen. Als er wieder in die Küche geht, fragt Jill mich: „Did you ask to leave?“ und ich antworte wahrheitsgemäß mit „No, I did not“. Gleichzeitig fühle ich aber, wie mich ein wohlig warmes Gefühl durchströmt bei dem Gedanken an einen Gastfamilienwechsel. Ich finde, das ist irgendwie ein Zeichen.
Als Big Brother endlich zu Ende ist, gucken wir eine neue Folge der Piratenserie, die sich inhaltlich fast vollständig mit der vorhergehenden deckt. Jill fragt mich, ob ich lieber etwas anderes sehen würde und ich meine, dass sie das ruhig aussuchen könne, schließlich würde ich beide Serien, die derzeit liefen, noch nicht kennen.
„Pirates Master“ läuft länger, als es die anderen Serien tun und Jill geht um viertel nach acht ins Bett. Ich bleibe noch ein wenig, damit es nicht so aussieht, als flüchte ich und gehe dann auch in mein Zimmer. Zu müde und auch zu gestresst, um noch am Laptop den Tagesbericht fertigzustellen, falle ich in mein Bett, den Wecker auf fünf vor sechs gestellt.

Oh sorry! *hmpf*

Mittwoch, den 18. Juli 2007

Halb sechs. Ich bin wach und genieße die einzigen Stunden am Tag, in denen ich mir relativ sicher sein kann, dass mich niemand in meiner Ruhe stört. Dann, um elf Minuten nach sechs das allmorgendliche Tuten. Ich habe keine Ahnung, woher es kommt, aber es ist jeden Tag da um die selbe Zeit und nach so ungefähr zehn Sekunden hört es abrupt wieder auf.

Um kurz nach acht stolpere ich mehr oder weniger in die Küche. Als Jill fragt, wie es mir ginge (nicht, dass sie wirklich fragen würde, nur das übliche „How are you doin‘?“), antworte ich mit dem sonst für Stuart typischen „not bad“ und überlege im gleichen Moment, dass das eigentlich nicht so wirklich wahr ist.
Kurz darauf kommt Stuart hinein und beginnt zu frühstücken. Er zweifelt wieder an, dass ich morgen zur Schule rechtzeitig auf sein würde. Dann sagt er: „It’s warm outside, isn’t it? Oh, sorry – you may probably not know! Probably“. Irgendwann, irgendwann…

Jill fragt mich, ob ich heute Nacht im Schlaf gesprochen habe und mir fällt einer meiner Träume wieder ein. Sie sind allesamt schlecht gewesen, wie alle, seit ich hier bin.
Während eines Traumes bin ich aufgewacht und weiß noch, dass ich gegen die Wand geschlagen habe; die Storyline eines anderen bestand daraus, dass jemand mit einem Auto gegen so einen großen, runden Bierwagen gefahren ist, wie es sie auf größeren Sportveranstaltungen gibt.
Aber sie sind nicht interessiert, zu erfahren, was ich geträumt habe. Es war eben halt nur das übliche „How are you doin‘?“ heute morgen, genau so wie sie es fragen, wenn sie eine Nummer aus einer Werbeanzeigen anrufen und sich nach Preisen erkundigen. Nicht das „Wie geht es dir, mein Sohn?“.

Als er mit dem Essen fertig ist, sieht Stuart stillschweigend eine CSI-Folge. Ich mache die Milch alle (schon fast unglaublich bei 2-Liter-Packungen und 160 Kühen, die zwei Mal am Tag gemolken werden) und frage ihn, ob noch welche im Kühlschrank bei der Melkmaschine ist. Nein, da sei keine mehr, sagt er. Im Moment würde alles passen, meine ich. Das müsse es auch, entgegnet Stuart, er würde nämlich nicht aufstehen, um neue zu holen.
Später setze ich mich zu ihm und gucke die CSI-Folge bis zum Ende, obwohl ich sie schon kenne. Es ist interessant, die Schauspieler mit ihrer eigenen Stimme anstelle der Synchronstimme sprechen zu hören.
Als er wieder rausgeht, räume ich einiges Geschirr in die Schränke. Eine der Aufgaben, die ich gerne erledige: Es ist wärmer als draußen und ich laufe Stuart mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht über den Weg.

Heute benutze ich zum ersten Mal für längere Zeit dem Wärmestrahler im Badezimmer, denn obwohl es ein wenig wärmer geworden ist, ist es immer noch bitterkalt dort drinnen. Nicht zum ersten Mal habe ich heute wieder die Wahl zwischen Verbrühungen und Erfrierungen und ich kann mich genau so wenig für eines der beiden entscheiden wie die Dusche. Und dann fällt mir wieder auf, dass ich anscheinend der einzige in diesem Haushalt bin, der sich darum sorgt, dass es noch andere Leute geben könnte, die die Dusche benutzen, und etwaige Haare zumindest in den Ausguss spült.
Trotz der Wärme, die der Strahler verbreitet, sind meine Hände und Füße eiskalt. Ich glaube, ich werde keine Heizung mehr brauchen, wenn ich nach Deutschland zurückkomme.

Im Radio höre ich wieder P!nk und kann zumindest ein wenig entspannen. Stuart ist draußen und füttert irgendwelche Kühe auf irgendwelchen Weiden, mir ist das herzlich egal. Ich hole nur kurz Holz und entschwinde dann wieder nach drinnen. Wir haben übrigens, anders als ich es Samira gestern erzählte, doch so eine Art motorbike, glaube ich. In Deutschland würde ich es wohl Quad nennen. Stuart fährt mit solch einem Gefährt und einem Trailer voll mit Futter zu den Kühen.
Ich blättere ein wenig durch die Broschüren von STEP IN und lächle ein wenig verbittert über Passagen wie „Deine Gastfamilie möchte Dich als richtiges Familienmitglied in ihr Leben eingliedern, also Erfahrungen und Spaß mit Dir teilen“ oder „Ein Hauptgrund dafür, Dich als zusätzliches Familienmitglied aufzunehmen, liegt sicherlich im Interesse an der deutschen Kultur“.

Dann widme ich mich zum bereits zweiten Mal in nicht einmal einer Woche in meinem Zimmer dem Staubsaugen. Creepy.
Als ich fertig damit bin und gerade eine leere Milchpackung in die Recyclingtonne bringe, kommt Stuart mit (s)einem der Hunde herein (den anderen hat Jill stets mit) und setzt sich wieder vor den Fernseher.

Hund

Während meine Hände wieder kälter werden, gehe ich wieder in mein Zimmer und beginne zum ersten Mal, meine Zeit richtig zu verschwenden. Ich spiele Tomb Raider – nicht, weil es mir besonders viel Spaß machen würde, sondern weil ich nichts anderes zu tun weiß. Und weil es mir nicht besonders viel Spaß macht, höre ich nach zehn Minuten wieder damit auf.
Ich setze mich zu Stuart vor den Fernseher, der Film, den er guckt, ist so eine Art Horrorfilm. Zwei Frauen fahren eine Leiche durch die Gegend. Stuart macht sich etwas zu essen.
Als er aufgegessen hat und heißes Wasser in das Spülbecken einlässt, um sich dann wieder dem Fernseher zu widmen, mache auch ich mir etwas zu essen. Vier Toasts, zwei mit Butter, eines mit dünnem Schinken, eines mit Käse. Dazu ein Glas Honigmilch und eines mit „Sipahh“, Geschmacksrichtung Kakao, für mich hier gelassen von Jills Schwester.

Und jetzt habe ich einen Geistesblitz: Auf meiner externen Festplatte tummeln sich noch einige Mitschnitte aus dem deutschen Fernsehen, darunter Sonnenallee, Dirty Dancing, Nur ein kleines bisschen schwanger und 30 über Nacht. Ich entscheide mich für Sonnenallee und genieße eineinhalb Stunden deutsches Fernsehvergnügen so ganz für mich allein. In Gesellschaft wäre es sicherlich vergnüglicher, aber mit der ist es hier ja nicht sonderlich weit her.

Danach mache ich mir so meine Gedanken und während ich das tue, staubsauge ich die Küche, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, das andere Gästezimmer, den Raum neben der Küche, den Flur und das Büro. Und nachdem ich vor einigen Jahren mal in einem spektakulären Selbstexperiment den durchschnittlichen Staubniederschlag pro Jahr festgestellt habe, kann ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass dort vor dem Schreibtisch seit ungefähr eineinhalb bis zwei Jahren nicht mehr gesaugt worden sein muss.
Jill und Stuart sind noch immer draußen, aber ich glaube, ich habe nun erst einmal genug getan. Das Geschirr hat auch schon wieder in den Schrank zurückgefunden und Holz ist auch noch da. Ich genieße einige Stücke deutsche Musik. Es wird später und später, morgen wird mein erster Tag in der Schule sein.

Als Jill später dann hereinkommt, bittet sie mich, noch mehr Holz zu holen. Ich bin etwas verwundert, der Wagen ist fast voll. Aber nun gut, bitte. Und ich solle noch einmal zu den Hühnern gucken, aber die sind mit schon fast deutscher Ordnungsliebe weggesperrt.
Ich vergleiche mich mit anderen Austauschschülern, deren Gasteltern im Büro arbeiten. Die würden sie nicht mitnehmen zur Arbeit. Von mir hingegen wird ganz selbstverständlich erwartet, dass ich auf dem Hof mithelfe. Und zusätzlich natürlich noch im Haus. Das ist schon kurios und – irgendwie auch ungerecht.
Wobei, die letzten zwei Tage bin ich ein wenig dabei, auszutesten, ob ich mithelfen muss. Ich schätze nur, sie werden es für eine gewisse Zeit tolerieren und dann meckern. Mal sehen, wie das wird, wenn morgen die Schule beginnt.

Zum Abendessen gibt es Bohnen mit Toast. Stuart fragt mich, wie viele Scheiben Toast ich haben möchte. Eine oder zwei, antworte ich. Eine oder zwei, fährt er mich an, ich solle mich entscheiden. Das gefälligst lässt er weg, aber es hätte gepasst. Hilfe! Ich entscheide mich für eine.

Das Essen soll das – wie Stuart sagt eines der – Lieblingsessen von der Austauschschülerin aus Bremen gewesen sein und ich denke, es könnte auch meines werden. Aber ich habe nicht sehr viel Hunger.

Danach wieder das übliche Big Brother-Gucken und darauf eine Polizeiserie. Interessant, dass man in Australien anscheinend der Meinung ist, dass das Laufen über ein Footballspielfeld (bekleidet wohlgemerkt) genau so schwer wiegt wie der Besitz von Drogen auf der Toilette des Stadions: Beide Täter werden zu fünfhundert Dollar Strafe verurteilt.

Dass ich früh zu Bett gehe, muss ich nicht erwähnen, oder? Und das, obwohl heute Dr. House kommt und ich die Folge noch nicht kenne.

Foods, Business Management, Information Technologies, …

Dienstag, den 17. Juli 2007

Heute weiß ich, was ich noch mehr tun kann, als um acht Uhr am Frühstückstisch zu erscheinen: Noch vor halb acht binnen einer Minute aus dem Bett springen und mich anzuziehen, um für Stuart draußen den Kopf einer Kuh hochzuhalten. Vielleicht lasse ich das zur Abwechslung einfach mal so stehen.

Heute morgen, als ich um halb sechs aufgewacht bin, ist mir zum wiederholten Male aufgefallen, dass ich hier in Australien mich morgens an meine Träume erinnere. Ich bin mir nicht so sicher, ob ich das wirklich möchte. Ich habe mich daran gewöhnt, es nicht zu tun und bin eigentlich ganz gut damit klargekommen.

Ich glaube, so langsam wird mir auch klar, warum die beiden auf der Gastfamilien-Bewerbung bei „What household duties would you expect of your exchange student?“ nur „Tide own room. Feed small animals & chooks. Tide up after yourself.“ angegeben haben. Zusätzlich noch „Get wood. Vacuum the floor. Feed big animals. Drag calves. Get the dishes back to the cupboard. Watch the fire.“ hätte einfach nicht in das Feld gepasst.

Mit ein paar Minuten Verspätung holt mich Kim um zwanzig vor zehn von der Farm ab, um mit Samira und mir zur Schule zu fahren, damit wir dort unsere Fächer wählen können.
Auf dem Weg dorthin fällt mir auf, dass auch hier in Australien gewisse Wörter in Liedern mit Pieptönen versehen werden, ganz so, wie man es aus Amerika kennt. Schon eine interessante Sache, Greenday mit American Idiot so zu hören. Ich glaube, das ist das erste Mal, das mit bewusst geworden ist, wie oft ein gewisses Wort in dem Lied enthalten ist.
Ebenso interessant ist die Tatsache, dass es hier in Australien anscheinend an der Tagesordnung ist, kaputte Frontscheiben zu haben. Car-Glas hätte hier mit deren Spezial-Kitt wohl nichts zu holen, von den vier australischen Autos, die ich bis jetzt kenne, hatten zwei einen Sprung in der Frontscheibe. Keinen kleinen, sondern zehn Zentimeter oder mehr.
Und dann passiert etwas, was in meiner Familie ein bisschen kurz kommt: Kim fragt Samira danach, wie sie sich fühlt. Es ist nicht so, dass ich es übertrieben stark vermissen würde. Nur wenn es total fehlt, merkt man es schon. „How are you doin‘?“ ist eben nicht das selbe wie ein „Wie geht es dir?“.

Die Fächerwahl selbst gestaltete sich relativ relaxed, ich habe meine sechs Fächer einfach finden können: Information Technologies, Foods (wird aber eventuell durch Spanisch ersetzt), English, Mathmatics, Business Management, Physics. Was ich mit meiner geisteswissenschaftlichen Verpflichtung mache, ist mir noch nicht so ganz klar. Ich werde gleich einmal in der Schule in Deutschland anrufen und das abklären.
Es gibt einige interessante Unterschiede zu den deutschen Schulen, beispielsweise sind Handys generell verboten. Es sei allerdings an der Tagesordnung, dass trotzdem viele Schüler welche mitbrächten. Fühlt sich ein wenig an, als sei man in Bayern. Ipods oder andere MP3-Player hingegen seien erlaubt und, solange der Lehrer nichts dagegen habe und man sich nicht im Frontalunterricht befinde, ausdrücklich geduldet.
Außerdem bekommt jeder von uns den sogenannten student planners – eine Art Kalender, von der Schule eigens für ihre Schüler gedruckt, der die Schulregeln und einen ganzen Haufen anderen Krams enthält.

Die Schule verfügt über einen Haufen von Flügeln für die verschiedenen Fachgebiete, so dass wir heute mehrfach durch den Regen laufen müssen, um alle zu sehen. Außer Samira und mir ist noch eine italienische Austauschschülerin dabei. Die verschiedenen Flügel sind mit Buchstaben bezeichnet, so beispielsweise A für arts, S für science oder T für technologic, darüberhinaus aber auch noch C, G, M für Flügel oder einzelne Räume – und bestimmt noch einige weitere. In nahezu allen Flügeln befinden sich Computerarbeitsplätze und jeder Schüler bekommt seinen eigenen Login.
Die Schließfächer für die Schüler befinden sich im Außenbereich und dort verbleibt auch der Schulranzen, man nimmt immer nur das mit rein, was man für die nächsten zwei Stunden benötigt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Für das eigene Schließfach sollte sich jeder Schüler ein Schloss besorgen.

Nach der kleinen Schultour und dem wahrscheinlich letzten freundlichen chat mit der Schulleiterin (wer weiß schon, zu welchen Anlässen man einander wiedersieht) begeben wir uns wieder zum Eingang, wo Kim auf uns wartet.
Wir fahren noch beim örtlichen Golf- und Bowlingclub vorbei und essen zu Mittag. Es regnet und ich gönne mir ein Schnitzel mit Salat. Zum ersten Mal in Australien schmeckt mir das Essen wieder wirklich. Es ist gutes Essen, ein wenig deutsch – und vor allem nehme ich mein Mahl in guter Gesellschaft ein.
Während des Essens erfahre ich, dass meine Nachbarn so um die sieben Computer haben, drei oder vier Fernseher – davon einen als Beamer-Ausführung -, eine X-Box, natürlich dementsprechend Internet und dass sie mit Samira schon über ICQ gechattet haben, bevor sie kam. Dann sprechen wir über meine Gastfamilie. Samiras Gastmutter merkt an, dass Stuart in einer schlechten Stimmung gewesen sein muss, als sie mich abgeholt hat. Ich denke nur: „Schlechte Stimmung? Er war wie immer“. Die beiden beschreiben Samira meine Gasteltern in gewohnter british understatement Marnier der Australier mit „different“. Sie hätten selbst keine Kinder, würden keinen Urlaub machen und überhaupt nicht herumkommen. Es ist wirklich hilfreich, eine Einschätzung von außen zu haben und ich muss doch sagen, sie bestärkt mich ein wenig in meinen Ansichten.
Als wir im Begriff sind zu gehen, frage ich Kim „What do you get for that food?“ und sie guckt mich nur verständnislos an. Ich frage erneut, sie braucht einen Moment, dann antwortet sie: „It’s ok“.
Im Auto, während Samira und ich auf Kim warten, die für zwei Minuten in ein Haus gegangen ist, wechseln wir einige deutsche Worte. Ich erfahre, dass sie sehr zufrieden mit ihrer Gastfamilie ist. Sie kann ihre Gastgeschwister mit einem der motorbikes der Familie von der Bushaltestelle abholen und vor allem bekommt sie jeden Morgen und Abend einen Kuss und eine Umarmung. Ich glaube, nein, ich weiß, dass das das erste Mal ist, dass ich seit der Begrüßung durch Jill am Flughafen dieses Wort schreibe und ich glaube, das ist schon ein wenig bezeichnend.
Kim fragt, ob ich noch bei Jill vorbeischauen müsse und ich verneine. Dabei fällt mir auf, dass wir Deutschen dazu tendieren, „yet?“ zu fragen anstelle von „now?“ und zwar, wie Samira Kim ganz einleuchtend erklärt, weil wir das deutsche Wort „jetzt“ haben. Mir fällt ein, dass ihr zuvor das gleiche mit dem Wort „smell“ anstelle „taste“ für „schmecken“ passiert ist.

Zurück auf der Farm (ich war gerade dabei, ‚zu Hause‘ zu schreiben, als ich mich umentschieden habe), es regnet immer noch, bietet Kim mir an, ich könne gerne einmal herüberkommen, wenn ich von zwei kleinen Kindern gepiesackt werden wollen würde. Und ich glaube, sie hat mir angesehen, dass ich das nur zu gerne würde.

Der Regen hört bald auf, aber ich bleibe drinnen. Mir ist heute wirklich nicht nach Kälber füttern zumute. Als Jill nach Hause kommt, gibt sie mir die Toastverpackung, die seit Tagen in der Küche steht und mit Abfällen gefüllt wird, und bittet mich, damit die Hühner zu füttern.

Hühner

Und sie bittet mich, die Pferde auf den gegenüberliegenden Paddock umzustellen. Das kleinere, helle Pferd heißt übrigens „Chester“, das andere „Firework“.

Chester

Firework

Chester

Und wo ich schon einmal draußen bin, bringe ich auch gleich das Papier, das in der Eile heute morgen seinen Platz in einem meiner Gummistiefel gefunden hat, in die Tonne.

Die Nachfrage bei der Schule in Deutschland ergibt unterdessen, dass ich meine Verpflichtung, ein geisteswissenschaftliches Fach zu belegen, mit ein wenig gutem Willen der Schule hier leicht erfüllen kann: Ich werde einfach darum bitten, Business Management im Zeugnis als Economics and Politics oder so ähnlich eintragen zu lassen. Politik soll mein drittes Prüfungsfach werden und inhaltlich ist das wohl so ziemlich auf einem Level – ob ich jetzt die Lehre darüber, wie man einen kleinen Betrieb führt, Business Management oder Volkswirtschaftslehre nenne, erscheint mir nicht wirklich relevant.

Als die beiden mitdem Melken nachezu fertig sind, hole ich noch ein wenig Holz. Jill sagt, es würde eine kalte Nacht werden und ich habe es dann doch ganz gern ein wenig warm. Der Wetterbericht sagt, heute morgen sei in Sydney der kälteste Morgen seit 21 Jahren gewesen. Und ungefähr so habe ich mich in den letzten Tagen auch gefühlt.
Auf dem Weg, Holz zu holen, entdeckt Jill die Toastverpackung von vorhin; ich hatte sie am Zaun festgeklemmt, um die Hände für die Pferde freizuhaben. Blöde Sache, das.

Beim Studium des student planners stoße ich auf diverse Seiten mit Gesundheitsempfehlungen. Sogar eine der Schulregeln besagt, dass im Sommer in den Pausen und bei allen anderen Aktivitäten, die draußen stattfinden, eine Kopfbedeckung getragen werden muss – verpflichtend. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass Schule in Australien mehr erziehen soll als in Deutschland.

In der Fernsehwerbung fällt mir heute ein interessanter Spot auf: Eine Sterbeversicherung wird angepriesen, ein sehr authentisch wirkender Herr fortgeschrittenen Alters macht auf die Vorteile aufmerksam. Irritierend fand ich nur den Hinweis auf die 30-Tage-Geld-zurück-Garantie.

Abends wieder Big Brother und ich gehe ins Bett. In Gedanken an den Tag und an alle, die noch kommen mögen.

it’s getting warmer!

Montag, den 16. Juli 2007

Es wird tatsächlich wärmer. Das liegt allerdings weniger am Wetter als daran, dass seit heute morgen die kleine Standheizung, die sonst im Zimmer der Gäste stand, ihren Platz im Wohnzimmer gefunden hat und dort ihre wohlige Wärme verbreitet. So etwas wünsche ich mir auch für mein Zimmer…
Als ich durchs Bad bin und allein mein Frühstück genieße (ich habe mittlerweile ein Buttertoast und eines mit Erdnussbutter zu meinem bevorzugten Frühstück erklärt), verabschiedet sich Jill, um zur Arbeit zu gehen. Ich setze mich an meinen Computer und schreibe ein paar Zeilen, bis Stuart hineinkommt, um seinerseits zu frühstücken. Ich grüße ihn mit „mornin'“, aber es kommt nichts zurück. „Na super“, denke ich, „genau so etwas habe ich mir gewünscht!“

Hund

Ich lasse ihm seine Ruhe, bis meinem Laptop schließlich der Saft ausgeht (ich habe mich ohne Netzteil vor den Ofen gesetzt), und setze mich dann zu ihm. Er fragt, was ich die ganze Zeit getan hätte und anscheinend ist es für ihn nicht ausreichend, um 8 Uhr aufzustehen, nach einer Katzenwäsche zu Frühstücken und dann am Computer zu sitzen – für nicht einmal eine halbe Stunde. Nein, er fordert mich auf, meine Zeit doch nicht zu vergeuden, sondern etwas zu tun – wie Staubzusaugen oder Abzuwaschen.

Erwähnte ich schon seine Einstellung zu Computern? Jill formulierte es vor einigen Tagen sehr freundlich, als sie sinngemäß sagte, er habe nicht viel am Hut mit Computern und ich solle deshalb am besten gleich nach der Schule ins Internet gehen, wenn er draußen melken würde. Vor zwei Tagen saßen wir abends zusammen und argumentierte sinngemäß: „Was soll ich mit einem Computer, der sagt mir ja nicht, ob ich von einer Kuh getreten werde!“

Ein wenig später, Stuart erledigt gerade einige Telefongespräche, beginnt es plötzlich zu regnen. Auch wenn Stuart es vorausgesagt hat und die Gehwegplatten im Garten nass sind, so ist es doch recht überraschend für mich. Aber genau so schnell, wie der Regen gekommen ist, verschwindet er auch wieder: Nur zwei Minuten später nieselt es nur noch und einige weitere Minuten später hört er ganz auf.

Dann bekomme ich noch Post von SCCE, die bereits erwartete Versichertenkarte der medibank ist angekommen. Außerdem eine Assurance-Karte von ACE – und ich habe keine Ahnung, wer das nun schon wieder ist. Aber die anderen haben die selbe Karte und im Prinzip ist es nur eine Aufforderung, bei Problemen ein R-Call an sie zu richten, egal wo auf der Welt man gerade ist.
Beigelegt ist der Versicherungskarte noch eine kleine CD-ROM mit den Mitgliederrichtlinien und Datenschutzbestimmungen der medibank. Schon irgendwie wichtig zu wissen, dass künstliche Befruchtungen nicht von der Versicherung abgedeckt sind…
Als Stuart wieder draußen ist, rufe ich bei der Versicherung an und gebe meine neue Postadresse an. Die Callcenter-Agentin ist nur bedingt gut zu verstehen, aber auch das klappt irgendwie. Am Schluss bekomme ich noch eine refund number, scheinbar irgendeine Art von cashback für die Telefonkosten.

Es ist kurz vor elf Uhr, ich gehe Holz hacken (ach, wie ich diesen Satz schon wieder liebe!). Ich bin mir nicht sicher, ob Stuart gestern welches geholt hat, denn der Wagen ist schon fast leer. Und ich denke an einige andere Austauschschüler, die um diese Zeit mitunter noch schlafen. Ich glaube, so früh und so oft draußen zu sein ist mit ein Grund dafür, weshalb ich oftmals am Tag den Wunsch nach Schlaf habe. Nicht unbedingt Schlaf, um wacher zu werden – dafür würde ein Nickerchen reichen -, sondern Schlaf, um meine Zeit für mich zu haben, um nichts tun. Ich habe das Gefühl, ständig auf der Hut sein zu müssen. Außerdem ziehen sich die Tage extrem in die Länge, wenn man um sechs Uhr aufwacht und um acht Uhr aufsteht.

Katze

Hund Rusty

Gerade als ich, wieder im Haus, mich mit der Kälte ein wenig abgefunden habe, entdecke ich eine weitere Heizung. Erstaunlich, wie viele die beiden davon besitzen und wie wenig sie einsetzen. Ich glaube, den australischen Winter zu ertragen, ist auch einfacher, wenn man sanft in ihn hineingleitet, anstatt ihn von einem Tag auf den anderen zu erleben. In der letzten Nacht waren wohl so um die vier Grad minus.

Heute gönne ich mir wieder meine Tagesration von einem Stück Schokolade. Es ist das letzte Stück. 70 Prozent Kakaoanteil übrigens. Und ich hoffe wirklich, dass ich schon vor dem nächsten Wochenende Internet bekomme. Vielleicht kann ich heute Nachmittag noch einmal hineinschauen, Jills Mutter wird mich voraussichtlich nach Numurkah fahren, um mit mir in der Schule die Fächer zu wählen. Wenn ich Glück habe und wir danach noch zu ihr fahren und der Computer an … und so weiter. Vielleicht.

Oder auch nicht. Wie mir Stuart vorm Mittagessen mitteilt, wird das heute nichts. Der Lehrer hätte keine Zeit oder irgendwie so etwas. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden mich morgen die Nachbarn mitnehmen, wenn sie ihre Austauschschülerin zur Schule fahren, damit sie ihre Fächer wählt. Es sind die selben Nachbarn wie diejenigen, von denen Jill mir bereits geschrieben hatte. Die Austauschschülerin ist aus Deutschland und soweit ich das bislang mitbekommen habe, mit EF hier. Sie wird auch hier auf der Farm reiten, weil ihre Gastfamilie keine Pferde hat. Dafür aber eine Computerfirma und Breitbandinternetzugang. Vielleicht kann ich da ja eine Frau gegen drei Kamele … oder so ähnlich.

Mittagessen ist ohnehin so eine Sache. Stuart meinte vorhin vor dem Mittagessen, als er von draußen hereinkam, zu mir: „You’ve been asleep! The fire is nearly out!“ – Mir war gar nicht bewusst, dass von mir erwartet würde, danach zu sehen, nachdem ich einmal Jill den Kamin habe öffnen sehen, Stuart dazu kam und sie nur meinte „oh, it’s not my business“. Aber anscheinend ist es meines.
Mindestens ebenso interessant finde ich auch, dass Stuart gerne seinen Teller auf dem Tisch stehen lässt. Oder die Erdnussbutter. Vorhin war ich mir nahezu sicher, dass sie da vorher nicht stand und als er wieder weg war, war sie dort.

Am Nachmittag sieht die Welt schon wieder ein wenig anders aus. Jetzt, da mein Zimmer und die Küche von mir gesaugt wurden, habe ich so langsam das Gefühl, mein Tagespensum an Arbeit erreicht zu haben und nicht in Rechtfertigungsnöte zu kommen – zumindest heute. Aber ich vermute, meine Mithilfe wird noch einmal erwartet, wenn in einer guten Stunde das Melken beginnt.

Während ich all diese Zeilen schreibe, höre ich Radio. Der Weltempfänger meines Großvaters versieht wundervolle Dienste hier, inklusive Uhr und Wecker. Zwar kann ich trotz angesteckter Langdrahtantenne nur einen Kurzwellensender empfangen (dafür aber unzählige Störungen, wo eigentlich monotones Rauschen sein sollte), aber der UKW-Bereich ist mit zwei Sendern schon etwas voller. Na ja, somewhere in the middle of nowhere eben. Dafür spielen sie die Red Hot Chili Peppers, Lifehouse, Black Eyed Peas und einige andere Interpreten, die mir ein wenig ein Gefühl von Deutschland geben.

Stuart ist heute ein wenig spät dran, er beginnt erst gegen vier Uhr mit dem Melken. Ich füttere die Kälberherde, drei einzelne Kälber und die Hühner. Dann werden sieben Kälber abgeholt, allesamt werdende Bullen. Ich füttere noch eine der Kuhherden – Stuart warnt mich fast zwei Minuten lang davor, ihnen zu nahe zu kommen (Es könne ein klein wenig kitzeln. Ich muss unmittelbar wieder an das Buch ‚Frühstück mit Känguruhs‘ denken) -, dann soll ich ein Kalb in den Stall tragen. Ich hätte gerne ein Foto von mir gemacht hinterher, aber ich will meine Kamera gerne noch weiterhin nutzen – und zwar ohne eine zentimeterdicke Schicht eingetrockneten Matsches. Dann gibts noch Milch für das Kalb, das sich auch erst langsam dazu aufrafft, auf eigenen Beinen zu stehen. Es möchte aber nicht trinken, so dass Jill ihm die Milch zwangsweise einflößt.

Zurück im Haus, gibt es ein wenig Abendessen. Immer noch Reste vom Wochenende (Ich habe mir vorher nie Gedanken darüber gemacht, wie lange etwas im Kühlschrank haltbar ist…), ich wähle diesmal Hühnchen. Pur. Die zu 97% fettfreie Mayonaise schmeckte mir nur in den ersten Tagen. Und da war ohnehin noch alles neu. Dann gibt es ein wenig Aufruhr, weil sich vier Gläser in der Küche befinden und wir nur zu dritt sind. Schnell ist der Bösewicht festgestellt, ich bin es. Ich habe mir doch glatt, nachdem ich am Morgen Milch getrunken hatte, für den Fruchtsaft ein neues Glas anstelle dessen mit eingetrockneten Milchrändern genommen. Unverzeihlich, Schande über mein Haupt!
Die Gastmutter meiner Nachbar-Gastschülerin, die mich morgen mit in die Schule nehmen wird, hat Jill auf der Arbeit angerufen und das ist auch der Grund, weshalb sie jetzt weiß, dass sie mich um halb elf einsammeln wird. Ich bin gespannt.
Als wir später noch ein wenig zusammensitzen, äußert sich Stuart ungläubig darüber, dass ich rechtzeitig aufstehen werde. Als ich meine, dass ich gestern um zwanzig vor Sieben fertig war, meint er sinngemäß: „Na toll, einmal im Jahr! Und wie lange sollen wir auf das nächste Mal warten?“ – Mir ist nicht so ganz klar, was ich noch mehr machen soll, als jeden Tag um acht Uhr in der Küche zu erscheinen. Wohlgemerkt auch am Wochenende und in den Ferien.

Pünktlich um 19 Uhr geht im Hause Cameron der Fernseher an. Faszinierende Sache, die beiden gucken Big Brother. Blöderweise haben wir nur einen Fernseher und das kommt so nahezu jeden Abend. Also gehe ich früh ins Bett – wie jeden Abend.


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