Es wird tatsächlich wärmer. Das liegt allerdings weniger am Wetter als daran, dass seit heute morgen die kleine Standheizung, die sonst im Zimmer der Gäste stand, ihren Platz im Wohnzimmer gefunden hat und dort ihre wohlige Wärme verbreitet. So etwas wünsche ich mir auch für mein Zimmer…
Als ich durchs Bad bin und allein mein Frühstück genieße (ich habe mittlerweile ein Buttertoast und eines mit Erdnussbutter zu meinem bevorzugten Frühstück erklärt), verabschiedet sich Jill, um zur Arbeit zu gehen. Ich setze mich an meinen Computer und schreibe ein paar Zeilen, bis Stuart hineinkommt, um seinerseits zu frühstücken. Ich grüße ihn mit „mornin'“, aber es kommt nichts zurück. „Na super“, denke ich, „genau so etwas habe ich mir gewünscht!“
Ich lasse ihm seine Ruhe, bis meinem Laptop schließlich der Saft ausgeht (ich habe mich ohne Netzteil vor den Ofen gesetzt), und setze mich dann zu ihm. Er fragt, was ich die ganze Zeit getan hätte und anscheinend ist es für ihn nicht ausreichend, um 8 Uhr aufzustehen, nach einer Katzenwäsche zu Frühstücken und dann am Computer zu sitzen – für nicht einmal eine halbe Stunde. Nein, er fordert mich auf, meine Zeit doch nicht zu vergeuden, sondern etwas zu tun – wie Staubzusaugen oder Abzuwaschen.
Erwähnte ich schon seine Einstellung zu Computern? Jill formulierte es vor einigen Tagen sehr freundlich, als sie sinngemäß sagte, er habe nicht viel am Hut mit Computern und ich solle deshalb am besten gleich nach der Schule ins Internet gehen, wenn er draußen melken würde. Vor zwei Tagen saßen wir abends zusammen und argumentierte sinngemäß: „Was soll ich mit einem Computer, der sagt mir ja nicht, ob ich von einer Kuh getreten werde!“
Ein wenig später, Stuart erledigt gerade einige Telefongespräche, beginnt es plötzlich zu regnen. Auch wenn Stuart es vorausgesagt hat und die Gehwegplatten im Garten nass sind, so ist es doch recht überraschend für mich. Aber genau so schnell, wie der Regen gekommen ist, verschwindet er auch wieder: Nur zwei Minuten später nieselt es nur noch und einige weitere Minuten später hört er ganz auf.
Dann bekomme ich noch Post von SCCE, die bereits erwartete Versichertenkarte der medibank ist angekommen. Außerdem eine Assurance-Karte von ACE – und ich habe keine Ahnung, wer das nun schon wieder ist. Aber die anderen haben die selbe Karte und im Prinzip ist es nur eine Aufforderung, bei Problemen ein R-Call an sie zu richten, egal wo auf der Welt man gerade ist.
Beigelegt ist der Versicherungskarte noch eine kleine CD-ROM mit den Mitgliederrichtlinien und Datenschutzbestimmungen der medibank. Schon irgendwie wichtig zu wissen, dass künstliche Befruchtungen nicht von der Versicherung abgedeckt sind…
Als Stuart wieder draußen ist, rufe ich bei der Versicherung an und gebe meine neue Postadresse an. Die Callcenter-Agentin ist nur bedingt gut zu verstehen, aber auch das klappt irgendwie. Am Schluss bekomme ich noch eine refund number, scheinbar irgendeine Art von cashback für die Telefonkosten.
Es ist kurz vor elf Uhr, ich gehe Holz hacken (ach, wie ich diesen Satz schon wieder liebe!). Ich bin mir nicht sicher, ob Stuart gestern welches geholt hat, denn der Wagen ist schon fast leer. Und ich denke an einige andere Austauschschüler, die um diese Zeit mitunter noch schlafen. Ich glaube, so früh und so oft draußen zu sein ist mit ein Grund dafür, weshalb ich oftmals am Tag den Wunsch nach Schlaf habe. Nicht unbedingt Schlaf, um wacher zu werden – dafür würde ein Nickerchen reichen -, sondern Schlaf, um meine Zeit für mich zu haben, um nichts tun. Ich habe das Gefühl, ständig auf der Hut sein zu müssen. Außerdem ziehen sich die Tage extrem in die Länge, wenn man um sechs Uhr aufwacht und um acht Uhr aufsteht.
Gerade als ich, wieder im Haus, mich mit der Kälte ein wenig abgefunden habe, entdecke ich eine weitere Heizung. Erstaunlich, wie viele die beiden davon besitzen und wie wenig sie einsetzen. Ich glaube, den australischen Winter zu ertragen, ist auch einfacher, wenn man sanft in ihn hineingleitet, anstatt ihn von einem Tag auf den anderen zu erleben. In der letzten Nacht waren wohl so um die vier Grad minus.
Heute gönne ich mir wieder meine Tagesration von einem Stück Schokolade. Es ist das letzte Stück. 70 Prozent Kakaoanteil übrigens. Und ich hoffe wirklich, dass ich schon vor dem nächsten Wochenende Internet bekomme. Vielleicht kann ich heute Nachmittag noch einmal hineinschauen, Jills Mutter wird mich voraussichtlich nach Numurkah fahren, um mit mir in der Schule die Fächer zu wählen. Wenn ich Glück habe und wir danach noch zu ihr fahren und der Computer an … und so weiter. Vielleicht.
Oder auch nicht. Wie mir Stuart vorm Mittagessen mitteilt, wird das heute nichts. Der Lehrer hätte keine Zeit oder irgendwie so etwas. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden mich morgen die Nachbarn mitnehmen, wenn sie ihre Austauschschülerin zur Schule fahren, damit sie ihre Fächer wählt. Es sind die selben Nachbarn wie diejenigen, von denen Jill mir bereits geschrieben hatte. Die Austauschschülerin ist aus Deutschland und soweit ich das bislang mitbekommen habe, mit EF hier. Sie wird auch hier auf der Farm reiten, weil ihre Gastfamilie keine Pferde hat. Dafür aber eine Computerfirma und Breitbandinternetzugang. Vielleicht kann ich da ja eine Frau gegen drei Kamele … oder so ähnlich.
Mittagessen ist ohnehin so eine Sache. Stuart meinte vorhin vor dem Mittagessen, als er von draußen hereinkam, zu mir: „You’ve been asleep! The fire is nearly out!“ – Mir war gar nicht bewusst, dass von mir erwartet würde, danach zu sehen, nachdem ich einmal Jill den Kamin habe öffnen sehen, Stuart dazu kam und sie nur meinte „oh, it’s not my business“. Aber anscheinend ist es meines.
Mindestens ebenso interessant finde ich auch, dass Stuart gerne seinen Teller auf dem Tisch stehen lässt. Oder die Erdnussbutter. Vorhin war ich mir nahezu sicher, dass sie da vorher nicht stand und als er wieder weg war, war sie dort.
Am Nachmittag sieht die Welt schon wieder ein wenig anders aus. Jetzt, da mein Zimmer und die Küche von mir gesaugt wurden, habe ich so langsam das Gefühl, mein Tagespensum an Arbeit erreicht zu haben und nicht in Rechtfertigungsnöte zu kommen – zumindest heute. Aber ich vermute, meine Mithilfe wird noch einmal erwartet, wenn in einer guten Stunde das Melken beginnt.
Während ich all diese Zeilen schreibe, höre ich Radio. Der Weltempfänger meines Großvaters versieht wundervolle Dienste hier, inklusive Uhr und Wecker. Zwar kann ich trotz angesteckter Langdrahtantenne nur einen Kurzwellensender empfangen (dafür aber unzählige Störungen, wo eigentlich monotones Rauschen sein sollte), aber der UKW-Bereich ist mit zwei Sendern schon etwas voller. Na ja, somewhere in the middle of nowhere eben. Dafür spielen sie die Red Hot Chili Peppers, Lifehouse, Black Eyed Peas und einige andere Interpreten, die mir ein wenig ein Gefühl von Deutschland geben.
Stuart ist heute ein wenig spät dran, er beginnt erst gegen vier Uhr mit dem Melken. Ich füttere die Kälberherde, drei einzelne Kälber und die Hühner. Dann werden sieben Kälber abgeholt, allesamt werdende Bullen. Ich füttere noch eine der Kuhherden – Stuart warnt mich fast zwei Minuten lang davor, ihnen zu nahe zu kommen (Es könne ein klein wenig kitzeln. Ich muss unmittelbar wieder an das Buch ‚Frühstück mit Känguruhs‘ denken) -, dann soll ich ein Kalb in den Stall tragen. Ich hätte gerne ein Foto von mir gemacht hinterher, aber ich will meine Kamera gerne noch weiterhin nutzen – und zwar ohne eine zentimeterdicke Schicht eingetrockneten Matsches. Dann gibts noch Milch für das Kalb, das sich auch erst langsam dazu aufrafft, auf eigenen Beinen zu stehen. Es möchte aber nicht trinken, so dass Jill ihm die Milch zwangsweise einflößt.
Zurück im Haus, gibt es ein wenig Abendessen. Immer noch Reste vom Wochenende (Ich habe mir vorher nie Gedanken darüber gemacht, wie lange etwas im Kühlschrank haltbar ist…), ich wähle diesmal Hühnchen. Pur. Die zu 97% fettfreie Mayonaise schmeckte mir nur in den ersten Tagen. Und da war ohnehin noch alles neu. Dann gibt es ein wenig Aufruhr, weil sich vier Gläser in der Küche befinden und wir nur zu dritt sind. Schnell ist der Bösewicht festgestellt, ich bin es. Ich habe mir doch glatt, nachdem ich am Morgen Milch getrunken hatte, für den Fruchtsaft ein neues Glas anstelle dessen mit eingetrockneten Milchrändern genommen. Unverzeihlich, Schande über mein Haupt!
Die Gastmutter meiner Nachbar-Gastschülerin, die mich morgen mit in die Schule nehmen wird, hat Jill auf der Arbeit angerufen und das ist auch der Grund, weshalb sie jetzt weiß, dass sie mich um halb elf einsammeln wird. Ich bin gespannt.
Als wir später noch ein wenig zusammensitzen, äußert sich Stuart ungläubig darüber, dass ich rechtzeitig aufstehen werde. Als ich meine, dass ich gestern um zwanzig vor Sieben fertig war, meint er sinngemäß: „Na toll, einmal im Jahr! Und wie lange sollen wir auf das nächste Mal warten?“ – Mir ist nicht so ganz klar, was ich noch mehr machen soll, als jeden Tag um acht Uhr in der Küche zu erscheinen. Wohlgemerkt auch am Wochenende und in den Ferien.
Pünktlich um 19 Uhr geht im Hause Cameron der Fernseher an. Faszinierende Sache, die beiden gucken Big Brother. Blöderweise haben wir nur einen Fernseher und das kommt so nahezu jeden Abend. Also gehe ich früh ins Bett – wie jeden Abend.