Regen

Donnerstag, den 26. Juli 2007

Das erste, was ich heute Morgen bemerke, ist Regen und dieses vertraute, beruhigende Gefühl von Regentropfen, die auf das Hausdach prasseln und vor allem die Gewissheit, nicht nach draußen gehen zu müssen, um Kälber zu füttern.
Ich stehe kurz nach halb zehn auf, esse zwei Toasts zum Frühstück. Eines mit Butter und Salz (die Margarine light ist nämlich ungesalzen), das andere mit Honig, der irgendwie merkwürdig schmeckt. Die Konsistenz stimmt, die Süße auch, schlecht ist er ebenfalls nicht, soweit ich das beurteilen kann, vielleicht ist es einfach eine komische Sorte. Das Etikett verrät mir das nicht, da stferneht nur „Honey“ und – anscheinend ganz wichtig – „Pure“. Haben die hier auch Honig, der nicht „Pure“ ist?

Das Fernsehprogramm gibt nicht viel her, deshalb lege ich mich aufs Sofa und lese weiter in „Tomorrow, When the War Began“. Nur Charlotte ist zu Hause, ich sehe sie nur einmal kurz, als das Telefon klingelt, dann entschwindet sie wieder. Aus dem Schlafzimmer erklingt noch immer die Stimme der selben Sprecherin des selben Hörbuches, die auf die Entfernung jegliche Melodie verliert und zu einem monotonen Einheitsgemurmel wird.

Um kurz nach elf kommt Charlotte wieder ins Wohnzimmer, ohrenscheinlich ist das Hörbuch zu Ende. Sie macht sich etwas zu Essen und regt an, dass wir ja mal in der Bücherei nach Schulbüchern gucken könnten. Und fragt, ob ich mir vielleicht ein paar Filme ausleihen wollte. Ich verneine und erzähle ihr, dass ich noch Filme auf einer meiner externen Festplatten hätte.
Charlotte entschwindet wieder in Richtung Schlafzimmer, biegt aber in Jols Zimmer ab und kommt dann zurück. Mit meinem Laptop! Ich bin ein wenig überrascht, sagt mir doch mein Countdown auf dem Palm, dass es noch 15 Tage und knapp acht Stunden sind, bis die drei Wochen um sind. Vielleicht ist das ja Hafterleichterung wegen guter Führung – oder einfach eine Stauchung der Zeitachse in Anbetracht des mehr und mehr abzusehenden Umzuges. Wenn ich tagsüber so herumsäße, dürfe ich den Laptop benutzen, abends, wenn die Kinder da sind, möge sie das nicht.
Ich lade die Fotos von meiner Kamera auf den Computer und füge einige Blogeinträge von Laptop und PDA zusammen. Dann speichere ich alles, was für meinen Blog bestimmt ist, auf meinem MP3-Player, um es später von einem anderen Computer aus hochzuladen.
Als alles erledigt ist, was man an einem Laptop ohne wirkliches Anliegen und vor allem ohne Internet so erledigen kann, gucke ich einen Film: „Nur ein kleines bisschen schwanger“, vor ein paar Wochen von mir aus dem Fernsehen aufgenommen.

Später zeigt mir Charlotte auf einer großen Karte, wo ihr Elternhaus steht: In der Nähe eines Ortes namens Balranald, direkt dortm wo sich der Sturt Hwy mit einer anderen Straße schneidet.
Als Charlotte später telefoniert, realisiere ich zum ersten Mal, dass die Jill, die ich in Australien kennengelernt habe, die selbe ist wie die, mit der ich vorher telefoniert habe und bin innerlich ein wenig erstaunt darüber. Diese Querverbindung war bislang einfach nicht aufgekommen.
Als Charlotte dann noch einmal außer Haus muss, suche ich noch andere Orte auf der Karte, um ein wenig Orientierung zu bekommen (Und ja, Goonellabah gehört auch dazu). Danach sitze ich noch ein wenig am Computer. So langsam trudeln dann auch die anderen Familienmitglieder ein, zuerst Rush und Jol, später auch Grant.
Als Charlotte wiederkommt, fahren wir einkaufen. Erst zu ALDI, wo ich mir ein wenig Süßes (oder vielmehr Salziges) gönne und feststelle, dass hier in Australien sowohl Pommes Frites als auch Kartoffelchips beide chips heißen. Dann noch zu IGA, wo Charlotte all das kauft, was sie noch nicht gefunden hat. Und wo sie ein halbes Dutzend Leute (darunter die Kassiererin!) anspricht, ob sie mich nicht aufnehmen wollten oder jemanden kennen würden… Komisches Gefühl, danebenzustehen.

Abends lese ich weiter in meinem Buch (was im Fernsehen läuft, brauche ich wohl nicht weiter zu erwähnen, oder?). Und ich drehe mit Grant eine Runde mit dem Hund. Und dann gehe ich ins Bett.

the first day

Donnerstag, den 12. Juli 2007

5.47 Uhr. Kein Wecker klingelt, aber wach bin ich trotzdem. Ich weiß nicht, warum – in Deutschland ist es schließlich kurz vor 22 Uhr. Ich denke an die letzten Tage, die Reise und die Menschen, die mich auf ihr begleitet haben. Gefühlte Stunden später schlafe ich wieder ein, bis mich Jill um halb zehn weckt.
Zum Frühstück esse ich zwei Toasts mit Erdnussbutter. Hat auch irgendwie etwas, creamy peanut butter, obgleich ich die crunchy-Version von zu Hause gewöhnt bin. Die gute aus Amerika…

Jill gibt mir Post von SCCE, zwei Umschläge mit vielen Informationen: Ein 20-seitiges Handbuch soll mir den Weg weisen durch den Regeldschungel, den Kulturstress und all die anderen Dinge. Ich bekomme eine weitere Ausfertigung der Regeln von SCCE, einen Flyer mit Informationen und einem „arrival report for SCCE international students“. Drei bunte Blätter sind prall gefüllt mit Informationen über die verschiedenen Aktivitäten in Victoria in diesem Jahr und über die zwei Reisen, die SCCE in Australien anbietet: Eine Reise in den Norden Queenslands, unter anderem zum Great Barrier Riff, im November und eine nach Zentralaustralien, unter anderem zum Ayers Rock (oder Uluru, wie die Aborigines ihn nennen), im April kurz vor der Ausreise. Der obligatorische SCCE-Werbeprospekt rundet das Paket ab.
Außerdem wird noch zur „arrival orientation“ geladen, die für alle Austauschschüler verpflichtend ist. Sie findet am kommenden Sonntag in Melbourne statt. Weil Jill und Stuart auf der Farm arbeiten müssen, werde ich von den Gasteltern einer Austauschschülerin in Shepparton mitgenommen.

Um 10.15 Uhr setze ich zum ersten Mal an diesem Tag meinen Fuß vor die Tür. Auf dem Rasen liegt Tau und es ist kalt.

Blick die Straße herunter nach Shepparton

Wir fahren nach Shepparton, um dort in einem Second-Hand-Laden („odd shop“) einige Kleidung für mich für die Farmarbeit zu besorgen. Kurze Zeit später verlassen wir schwer bepackt und nur um 41 australische Dollar ärmer den Laden. Jill wollte bezahlen: Die „farm clothes“ seien zur Arbeit da und würden schließlich auch auf der Farm bleiben. In einem Fotoladen kaufen wir einen Adapter, meiner passt nämlich in fünf dutzend Ländern der Welt, nur nicht in Australien. In der Fußgängerzone bemerke ich einige Lautsprecher, fest installiert, aus denen Musik erklingt. Kurios.
Dann begeben wir uns in ein Einkaufszentrum und suchen Schuhe für Jills Nichte. Ich entdecke einen Telstra-Laden, vor dem ein Schild Werbung für ein UMTS-ähnliches Internet macht. Einige Schuhläden später essen wir – gemeinsam mit Jills Mutter – bei Subway, um uns dann wieder auf den Heimweg zu machen.

Blick zur Farm von der Straße aus

Auf der Farm sehe ich mich das erste Mal richtig draußen um und helfe dann Jills Nichte und Neffen beim Füttern der Kälber, während Jill und Stuart die Kühe melken. Später gehen wir Stuart bei einer Nachgeburt zur Hand. Als alles erledigt ist, bekomme ich meine erste regelmäßige Aufgabe: Stuart zeigt mir, wo das Holz gelagert wird, das wir brauchen, damit der Kamin jeden Abend lodern kann.
In einer Voliere nahe des Hauses sind 15 Wellensittiche untergebracht. Mir ist absolut unklar, wie die bei diesen Temperaturen draußen überleben können, aber es scheint ihnen gut zu gehen.

Wellensittich in der Voliere im Garten

Auf einer großen Weide sind die meisten der unzähligen Kälber untergebracht, drei haben ein eigens eingerichtetes Strohhotel und sieben weitere ihren eigenen Stall.

Kalb

Auf dem Rasen hinter der Garage steht Rustys Hundehütte, neben der Haustür ist der Zweitwohnsitz: einige Decken

Am Abend überreiche ich Jill und Stuart die Gastgeschenke und bin innerlich noch immer ein wenig verstimmt darüber, dass sich die DVD über Bremerhaven nicht wieder angefunden hat. Dann telefoniere ich mit meiner local coordinator-in. Mehr oder weniger deshalb, weil das SCCE-Willkommensschreiben fordert: „Don’t wait for Charlotte phoning you, call NOW and introduce yourself!“. Jill schüttelt darüber ein wenig den Kopf, schließlich würde Charlotte sich ohnehin in den nächsten Tagen nach mir erkundigen. Und genau das erzählt Charlotte mir auch.

Am Abend schreibe ich die Tagesberichte für die letzten Tage nach – ich habe ja nun endlich Strom für meinen Laptop – und höre deshalb Stuart erst, als er in der Tür steht. Mein Vater hat zurückgerufen, meine zwei Versuche heute und gestern waren nämlich beide auf Anrufbeantworter und Mailbox aufgeschlagen. Endlich erhalte ich meinen PIN für die EC-Karte der Deutschen Bank.
Ich bin müde und möchte ungern wieder so lange schlafen, zumal Jill ihr Missfallen diesbezüglich hat durchblicken lassen, und gehe gegen 22 Uhr zu Bett.

Antworten … und gleich so viele!

Montag, den 14. Mai 2007

So, die Antwort aus Bremen auf meine E-Mail mit den vielen Fragen ist eingetroffen:

Die Schule in Numurkah fängt um 9 Uhr an und geht bis vier Uhr, dafür sei der Unterricht dort „wirklich total leicht“. Sprachen könne man dort aber leider nicht machen, es gebe nur einen Italienischkurs, der sei aber für die Unterstufe.
Mittags gegessen wird in der Schule und auch wenn es nicht so gesund sei, es schmecke „ganz lecker“. Und Jill würde „total super“ kochen.
Die Schuluniform sei „echt cool“: Dunkelblaue Shorts und ein hellblaues Hemd oder Poloshirt für die Jungs, dazu schwarze Schuhe. Nur zum Sportunterricht gibts die freie Auswahl.
Wenn ich, wie zu erwarten ist, in die 11. Klasse komme, habe ich mittwochs schulfrei – so eine Art Heimarbeitstag: Hausaufgaben machen, lernen und so weiter. Also theoretisch. Quasi.
Praktisch sahen die Mittwoche bei meiner Vorgängerin so aus, dass sie mit Jill nach Shepparton zum Einkaufen gefahren ist.

Nach der Schule steht aller Voraussicht nach Kühe und Kälber füttern, Felder abstecken und Hühner füttern an – das ist doch schon mal vielversprechend. Danach dann Hausaufgaben machen (das habe ich mir für die Zeit in Australien mal ernsthaft vorgenommen) und dann zusammen dinner essen und fernsehen. Und in den Pub gehen zum Dinner sei wohl auch öfters mal drin. Klingt wirklich „gechillt“…

Am Wochende gehts normalerweise etwas früher raus, so gegen halb acht oder auch mal früher – je nachdem, wie viel es zu tun gibt. Aber ab und an sei auch mal ausschlafen drin. Das werd ich wohl am ehesten überstehen, ich kann ja jetzt auch höchstens samstags ausschlafen, sonntags muss ich ja auch zu Hause für die Pferde raus.
Ausschlafen – warum eigentlich? Weil es samstagabends auch öfters mal die ein oder andere „Aussie-Party“ geben würde. Aber Stuart sei da nicht ganz so locker, „also mit jedes Wochenende dick Party machen ist da nix“. Wie praktisch, dass ich damit keine Probleme haben werde…

Das Klima sei auch ganz angenehm, im Winter „sogar schon mal etwas kühl“ – warme Sachen mitzunehmen sei also unbedingt angesagt. Wobei „etwas kühl“ so 10 Grad sind. „Ganz schön heiß“ hingegen sind so um die 38 Grad. Das mit dem Wasser sei auch so eine Sache … es regne echt selten (Jill meinte auch in ihrer letzten Mail: „and yes, send plenty of rain“) und deshalb sei Sparsamkeit angesagt, schließlich muss das Wasser zum Duschen, Abwaschen und Kochen reichen.

Insgesamt sei es da unten „echt alles total chillig“ – total warm und hilfsbereit, einfach richtig nett. Ebenso die Familie und Freunde von Stuart und Jill – „alle sehr nett und herzlich“. Wobei das mit dem warm durchaus am Wetter liegen könnte, man weiß ja nie…

Ah, sieh an, sieh an!

Samstag, den 5. Mai 2007

Da wundert man sich schon, warum alle die anderen Austauschschüler so viel über ihre Gastfamilien wissen – und dann schiebt STEP IN unangekündigt noch weitere Unterlagen zur Gastfamilie hinterher. Viele nette kleine Details sind darin enthalten, aber um „die mit Spannung erwarteten weiteren Informationen“ handelt es sich mangels Ankündigung nicht.

Das erste ist die genaue Adresse: Erstmals habe ich eine Straßenangabe und der Ort ist auch präzisiert worden. Die Farm gehört zu Invergordon, einem kleinen Örtchen in einem Gebiet mit nur 500 Einwohnern:

„Invergordon is about 30 kilometres NNE of Shepparton which is our nearest city. We are about 3 hours drive north of our state capital, Melbourne. We are 30 kms south of the border between Victoria and New South Wales. This border is the Murray River. Our Latitude is approximately South 36.166 degrees and our Longitude East 145.583 degrees. We are 180 metres above sea level.

Invergordon has a small township of 14 houses and the rest of the community lives on dairy farms or orchards. (There are also some small hobby farms.) There are approx 500 people living in the area overall. In addition to the school, there is a church, a Guide Hall, community rooms, a cricket oval, 2 general stores, 2 fertilizer distributors, a BMX track, netball courts and tennis courts. There are also lots of channels to swim in during the summer.

[…]

During the summer we often have days over 100F. Our winters are cold but we never have snow. We do have lots of frosts though.“

Puh – das sind über 40 °C! Warm, warm!
Bei der Namensgebung fallen sofort die kolonistischen Einflüsse auf: Invergordon ist auch ein Ort in Schottland. Und die Primary School dort wurde nach diesem Ort benannt – weil der erste Lehrer aus eben diesem Ort kam.

Nun zu meinen Gasteltern: Mein Gastvater hat am 21. März Geburtstag und ist 45 Jahre alt, meine Gastmutter ist 37 Jahre alt – aber wird in vier Tagen 38! Die beiden möchten mir ihr Land und ihre Kultur näher bringen, mir zeigen, wie australisches Farmleben ist, mit mir Spaß haben, planen mich zu Familien- und Freundesbesuchen mitzunehmen und möchten mir Phillip Island und den fauna park (Bericht einer deutschen Australienbereisenden) zeigen. Ein Klavier, ein Keyboard und eine Gitarre seien im Haushalt vorhanden und sportbegeistert sind die beiden auch. Auch wenn das in diesem Fall bedeutet, sich örtliche Footballspiele anzusehen.
Die Nachbarschaft beschreiben die beiden als freundlich und hilfsbereit, eine typische Farmergemeinschaft, in der es auch an Aktivitäten nicht mangelt: Tennis, Fußball, Reiten, Cricket und eine Jugendgruppe.
Zwei der Hunde leben im Haus – die Kühe und Kälber, die Pferde, Hühner, Katzen und die Arbeitshunde draußen. Die Hühner, im australischen Slang übrigens chooks genannt, zu füttern wird meine Aufgabe sein. Die Kirche müsse ich nicht besuchen – nun ja, wer weiß, wie weit die entfernt wäre.
Als meine Schule ist das bereits erwähnte Numurkah Secondary College angegeben, 17 km entfernt und mit dem Bus zu erreichen. Die nächste Möglichkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, ist wohl auch in Numurkah.

Und dann gab es noch eine Runde Fotos, eines davon zeigt Jill mit den beiden Haushunden Molly und Missy, beide Jack-Russel-Terrier. Und mit Rusty, einem braunen, größeren Hund mit nicht ganz klarer Rasse. Ein anderes zeigt den Blick über die Weiden hinterm Haus mit all den Kühen. Das Wort paddock sorgte in dem Zusammenhang doch gleich wieder für ein Gefühl von Heimat. Ein weiteres zeigt die familäre Weihnachtsfeier im Hause von Jills Bruder, auch Stuart („Stu“) ist darauf zu sehen – neben Justin und Stacie (niece + nephew). Im Hintergrund ein Weihnachtsbaum, kaum mannshoch und mit Lametta und Schmuck behangen. Aber wer weiß, wahrscheinlich besteht auch der Baum aus Plastik. Wäre ja auch kein Wunder im Hochsommer.


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