Monatsarchiv für Juli 2007

mashies

Montag, den 23. Juli 2007

Früh aufstehen ist immer relativ. Heute ist zwanzig nach sieben früh. Ich esse Haferflocken mit Milch und Honig zum Frühstück, Charlotte macht die Schulbrote für die Mädchen fertig und auch eines für mich. Mit Avocado.
Um acht Uhr fahren wir zu Kim, Kate und den „boys“. Kate macht die Tür auf, gerade irgendwo zwischen Bett, Bad und breakfest. Den Vormittag verbringe ich mit dem Lesen der ersten 15 Seiten von „Tomorrow – When the War Began“ von John Marsden und dann, als alle den Weg aus dem Bett gefunden haben, zusammen mit den anderen vorm Fernseher. Das Fernsehen geht zwar noch nicht, aber wir haben eine Menge DVDs im Haus. Kim hingegen scheint nicht da zu sein.
Wir gucken ‚Flush Away‚, einen Animationsfilm. Interessante Story, ein bisschen an ‚Findet Nemo‘ erinnernd. Gute Musik, ganz akzeptable Story und Dialoge. Wenn man das in einem Animationsfilm, dessen Hauptdarsteller Mäuse und Ratten sind, überhaupt so nennen kann. Später folgt dann der Anfang von Staffel 1 von Gilmore Girls. Interessante Stimmen, wie ich wieder einmal bemerke. Aber die Synchronstimmen haben es mir ein bisschen mehr angetan. Vielleicht ja, weil ich sie voll und ganz verstehen kann.
Als mit der Zeit alle etwas hungrig werden und auch mein Lunchpaket – inklusive der Apfelsine und des Müsliriegels -, machen wir uns auf, etwas essbares zu finden. Bei McDonalds. $2,00 für einen Cheeseburger (ungefähr 1,25 Euro, die könnten ruhig mal etwas vergleichbares zu den 1-Euro-Burgern einführen). Und bei KFC. Ich habe noch nie zuvor mashies gegessen, aber sie schmecken gut, ein bisschen wie Kroketten, nur anders gewürzt.
Die boys versuchen Feuer im Garten zu machen, während wir essen. Dann guckt Kate weiter Girlmore Girls, einer der boys und ich folgen ihr.
Als wir ans Ende der zweiten DVD kommen und die anderen beiden wieder aufgewacht sind, wechseln wir zu ‚American Dad!‚.
Charlotte holt mich nach der Arbeit ab und gerade als wir fahren, kommt uns Kim im Auto entgegen.
Morgen wird mich Charlotte zur Arbeit mitnehmen, ich könne unterwegs gut Landschaftsfotos machen. Mir ist noch noch nicht ganz klar, wie das zu ihrer Arbeit in einer Bibliothek passt.
Als wir nach Hause kommen, guckt Rush gerade Fernsehen, Jol ist in ihrem Zimmer und liest Harry Potter. Zum Abendessen gibt es Hühnchen (jetzt schon das zweite Mal heute!), Kartoffelbrei und Gemüse. Während alldessen läuft der Fernseher und zumindest Rush guckt, auf der Couch sitzend, während des Essens zu.
Danach machen Grant und Charlotte ihre eigenen Chips – so ähnlich wie Tortillias. Schmecken gar nicht mal so schlecht. Und im Fernsehen kommt Big Brother. Jerren klingelt mich an, aber ich bin nicht schnell genug in meinem Zimmer, um das Gespräch anzunehmen. Ich werde ihm morgen SMSen – oder, wie es hier heißen müsste, texten -, denn ich habe heute von meinem 1-ct-pro-SMS-zu-Telstra-Angebot zu einem anderen gewechselt, dass mir erlaubt, für einen Dollar bis zu 20 SMS zu verschicken, was übrig bleibt, verfällt aber jeden Tag. Vielleicht wechsele ich aber auch zu einem anderen Provider, wir werden sehen. Jerren wird da wohl ein bisschen Ahnung von haben.
Gegen halb neun gehe ich ins Bett, zum ersten Mal in einem so warmen Raum, dass ich für einen Moment die Bettdecke zur Seite schlage – und das, obwohl ich vorhin gelüftet habe.

Nichtstun

Sonntag, den 22. Juli 2007

Sonntagmorgen. Ausschlafen. Und heute ist ein Freizeittag. Rush und Jol sind heute in der Schule, um Vorbereitungen für die Aufführung zu treffen.
Zum Frühstück gibt es für mich Toast mit Erdnussbutter. Zwar crunchy, aber dennoch ein wenig komisch. Die Erdnüsse wirken mehr gemahlen denn geschreddert. Und Milch, ganz wichtig.
Vormittags nehme ich mir erst ein Buch, dann eine Dusche. Interessante Sache, diese Dusche: Damit man das 3-Minuten-Limit nicht vergisst, ist in der Dusche eine wasserdichte Stoppuhr, die man auf drei Minuten einstellen kann. Und ich nehme mit Freude wahr, dass das Wasser auch in der Dusche sofort warm wird. Mir ist noch nie so bewusst geworden, wie ergiebig eine kleine Menge Shampoo auch ohne viel Wasser sein kann…
Die Dusche ist höher als die auf der Farm, ich kann nicht darüber gucken. Nur das Bad ist ein wenig kalt, kein Strahler sorgt für Wärme. Aber daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen.
Später kriege ich einen Heizlüfter in mein Zimmer, damit es endlich ein bisschen wärmer wird. Sehr feine Sache, wobei auch die Gasheizung an der Wand im Wohnzimmer nicht zu verachten ist.

Nachmittags habe ich zum ersten Mal Internetzugang außerhalb der Schule (von Jills Eltern einmal abgesehen). Ich gucke, was meine Konten so machen und wie der Umrechnungskurs zum Australischen Dollar ist, wenn ich mit der Kreditkarte bezahle.
Und ich krame mein Funkgerät hervor und kann zum ersten Mal die APRS-Bake des Funkamateurs hier in Shepparton empfangen.

Abends ist wieder Big Brother angesagt. Und ein Spinat-Käse-Auflauf, der ein wenig eigenwillig schmeckt. Aber ich esse ihn. Danach begleite ich Grant mit dem Hund. Wir laufen in Richtung der Schule und sehen das Footballspielfeld.

(Um)Zug (um) um Zug

Samstag, den 21. Juli 2007

Der erste volle Tag im neuen Heim. Und ein Samstag. Ich wache früh auf, ganz in gewohnter Marnier. Doch ich versuche wieder einzuschlafen, wieder und wieder – bis auch die anderen aufgestanden sind. Um neun Uhr stehe ich auf. Freiwillig!
Zum Frühstück gibt es für mich heute Cornflakes. Rush guckt Fernsehen, dann fahren wir einkaufen. Sie und Jol brauchen für eine Schulaufführung noch einiges zum Anziehen. Wir fahren an meiner vermutlich zukünftigen Schule vorbei in das mir bekannte Einkaufszentrum und zu BigW. Und wir besorgen mir eine SIM-Karte, ein Handy kann Charlotte mir leihen. Während Charlotte und die Mädchen beim Bäcker anstehen, gucke ich in der Drogerie vorbei, um mir einen groben Überblick über Sortiment und Preise zu verschaffen. Dann schaut Charlotte noch in einem der Eintritt-nur-ab-18-Jahren-Geschäfte vorbei (nein, nicht was ihr denkt, sie kauft Wein) und wir begeben uns in die Einkaufszone Sheppartons.
Dort kauft sich Charlotte etwas heißes zu trinken und ich mir einen choc ice donut, der – bis auf die festen Schokoladenguss – wie ein Berliner schmeckt. In einem Second-Hand-Laden mit allerlei Krimskrams erstehen wir ein Kopfkissen (pillow) für mich. Rush möchte nämlich keines ihrer fünf abgeben. Mittags geht es kulinarisch weiter mit einem Hotdog (diesmal mit richtigen Würstchen!) und einem Vanilleshake, das komisch schmeckt.

Wir schauen bei Charlottes Tochter Kim und ihrer quasi-Tochter Kate vorbei, die vorhaben, heute umzuziehen. Allerdings wird dieses Vorhaben noch warten müssen, bis sie wirklich wach sind. Wir fahren also erst einmal wieder nach Hause, um später noch einmal vorbeizusehen.

Als wir nach Hause gekommen, möchte ich die SIM-Karte aktivieren. Charlotte meint allerdings, dass in der Anleitung steht, dass dafür das Telefon vollständig geladen sein soll – und ich solle doch so lange warten.
Ich setze mich aufs Sofa und lese ein wenig, bis wir wieder losfahren in unserer Mission als Umzugshelfer. Mittlerweile ist dort etwas mehr Leben eingekehrt und neben Kim und Kate sind auch noch einige Jungs (einer ist stark genug, mal eben den mit dem Kühlschrank und anderem Krams beladenen Trailer hochzuheben und umzusetzen) zum Helfen angerückt. Und ein kleines Kind, schätzungsweise drei oder vier Jahre alt. Wir schleppen all die Sachen erst aus dem Haus in die Autos (Kleinbus und Auto mit Anhänger) und dann, eine kurze Autofahrt später, in das neue Haus. Ein recht großes Haus, vier Zimmer und Wohnzimmer (von Kim gleich als lounge betitelt) – und eine recht großzügige Küche. Den Kühlschrank angeschlossen und einen Blick in den Garten – mit Gartenhaus, Wäschespinne, Obstbäumen, Basketballkorb und Basketball mit zu wenig Luft – geworfen und dann fahren wir wieder nach Hause.

Abends gibt es Hühnchen. Und Gemüse. Einige SMS und dann ein wenig Schlaf. Vielleicht kann ich mich ja morgen früh an einen schönen Traum erinnern?

ein langer Tag

Freitag, den 20. Juli 2007

Ich wache um zehn nach vier auf, aber schlafe wieder ein. Dann wache ich erneut auf, mein Wecker hat immer noch nicht geklingelt. Ich denke, dass es nun aber bald mal soweit sein müsste und just in diesem Moment lässt mich der schrille Piepton hochschrecken. Es ist fünf vor sechs und ich habe gleich einen Gesprächstermin mit meinem Vater. Ich stehe auf, gehe kurz ins Bad und schließe dann die Tür zur Küche, um Jill gegebenenfalls nicht zu wecken, ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie im Haus ist. Ich mache das Licht an und klingele meinen Vater an. Er ruft zurück (Hilfe, ist das laut, wenn es ruhig ist!), aber die Verbindung dauert nur fünf Minuten, weil bei Peter im Moment ein hoher Andrang herrscht. Verständlich um diese Zeit, Amerika und Australien passen im Moment beide zur deutschen Zeit.
Ich schildere die Situation zu dem Zeitpunkt, als ich gestern mit ihm telefoniert habe, und vor allem auch, was danach passierte. Wir erörtern die Situation und weitere Vorgehensweise. Ich werde noch mit der Beratungslehrerin an der Schule sprechen, schließlich brauche ich auch deren Unterstützung bei einem etwaigen Gastfamilienwechsel.

Dann gehe ich noch ein wenig in mein Zimmer. Als ich frühstücken gehe, ist Stuart drinnen. Er fragt mich, ob ich mit meinem Vater telefoniert hätte. Ich sage ihm, dass ich das schon gestern nach der Schule abgemacht hätte.
Der Schulbus ist pünktlich (zumindest soweit ich das ohne Uhr abschätzen kann), aber Samira steht auch heute nicht an der Straße. Vor der Schule gehe ich, als das allmorgendliche staff briefing im Lehrerzimmer abgeschlossen ist, zu meiner program manager in an der Schule und erzähle ihr, dass ich womöglich meine Gastfamilie wechseln werde. Sie fragt nach, warum und ich erzähle ihr meine Geschichte, während es zur Homegroup und dann zur Stunde klingelt. Sie sagt, sie würde Charlotte anrufen und einmal mit ihr sprechen. Während einer Übergangsphase könne ich auch bei ihre wohnen, sie habe schon Schüler über SCCE gehabt und ihre Kinder seien gerade alle außer Haus, zum Teil wie ich im Ausland.

Der Unterricht gestaltet sich genau so angenehm wie zuvor, abgesehen von dem komischen Gefühl, dass mich den ganzen Tag begleitet, und widerspiegelt, dass ich nicht weiß, wohin mich mein Weg führen wird und auch nur wenig Einfluss darauf habe. Dass ich zur ersten Stunde zu spät komme, scheint mein Mathelehrer nicht sonderlich schlimm zu finden. Er sagt nichts – wobei das auch daran liegen kann, dass wir uns zu dem Zeitpunkt nicht im Frontalunterricht befinden. Heute gibt es nur eine Stunde Mathe für mich, die zweite habe ich Physik in einer angenehm kleinen Lerngruppe von nur gut zehn Schülern. Der Lehrer – der, als er sich mir vor der Stunde vorstellte, ganz selbstverständlich meinte, ich könne ihn gerne auch Michael nennen – bringt uns nahe, wie wissenschaftliches Denken in Modellen funktioniert.
Dann folgen zwei Stunden Business Management. Es geht um Kommunikation – heya! Das ist doch mal praxisnaher Unterricht. In der zweiten Stunde sind wir in der Bibliothek, um einigen Fragen – oder vielmehr deren Antworten – auf die Schliche zu kommen. Ich nutze die Zeit am Computer allerdings anderweitig.
Dann folgt die große Pause (die eine Stunde werde ich in Deutschland wohl echt vermissen) und auch ich begebe mich nach einigen Minuten aus der Bibliothek nach draußen. Kein mir bekanntes Gesicht ist zu sehen, aber zwei Mädchen, die ich gestern schon einmal gesehen habe, fragen mich, ob ich mit herüber kommen möchte und dort sitzen sie alle: Austauschschüler und Anhang (oder andersherum). Irgendjemand treibt einen Football auf und nachdem ich mich anfänglich sträube, versuche ich dann doch einmal, ihn zu kicken. Gar keine so einfache Sache, aber ich bin ja nicht der einzige Anfänger, auch die zwei anderen Australienneulinge versuchen sich daran. Es ist auf jeden Fall faszinierend, dass ein einfacher Football eine Gruppe von 15 Schülern mit einem relativ kleinen Platzbedarf eine ganze Zeit lang beschäftigen kann – und das auch noch Spaß macht. Hat irgendwie etwas, wenn der Ball zu einem kommt und man ihm nicht hinterher rennen muss. Und erinnert mich ein wenig an die Ballspiele der Oberstufler in meiner Schule in den Pausen.
Nach der Pause bin ich überpünktlich am Raum für den Englischunterricht. Er ist zu (was aber nicht verwunderlich ist, da die Räume das meist sind) und abgedunkelt, aber dann kann ich plötzlich den Sound von Windows XP hören, der erklingt, wenn man sich einloggt. Ich klopfe ein und mir wird geöffnet. Meine Englischlehrerin scheint zwischenzeitlich ihr Gespräch mit Charlotte geführt zu haben. Sie teilt mir mit, dass sie eine Nachricht für mich habe: Wenn ich nach Hause käme, müsse ich wieder packen. Charlotte würde mich diesen Nachmittag mitnehmen. Ich setze mich in die erste Reihe auf den gleichen Platz wie gestern auch. An die freie Sitzwahl in jeder Stunde habe ich mich noch nicht so ganz gewöhnt. Als die anderen Schüler eintreffen (zwei Mädchen setzen sich noch einmal zu mir nach vorne um und wir halten ein wenig Smalltalk), gucken wir nach einigen Anlaufschwierigkeiten mit dem Beamer wieder Gattaca. Die bekannte Geschichte zieht nur so an mir vorbei, ich lasse mich mehr oder weniger berieseln.
Als letztes Fach an diesem Tag winkt foods. Auf dem Weg dorthin erzähle ich der Austauschschülerin aus Brasilien, dass ich vielleicht die Schule wechseln würde und was gestern passiert ist. Sie zeigt sich ein wenig erschüttert darüber und bittet um meine E-Mail-Adresse für den Fall, dass heute mein letzter Tag an dieser Schule ist. Heute ist eine Theoriestunde und wir besprechen hauptsächlich, was man alles wissen muss, um für seine Familie die Mahlzeiten für die kommende Woche zu planen. Interessant, dass man sowas als Unterricht verkaufen kann. Aber es gibt sogar ein Lehrbuch und mit schon fast naturwissenschaftlicher Präzision werden dort Dinge vermittelt wie ein Praxistest, der belegen soll, dass Silikonprodukte bessere Resultate beim Kochen hervorbringen als ihre Vorgänger.

Im Bus nach Hause sitzt Samira wiederum. Wir reden ein wenig – über die Sitzbank hinweg, weil sich jemand anders neben mich gesetzt hat. Als sie aussteigt, sagt sie zu mir: „Bis Montag“ und ich denke nur „vielleicht“. Sie wird von ihrer Familie an der Haltestelle abgeholt: Ich kann Vater, Mutter und Gastbruder durch die Autofenster sehen.

Als ich auf die Farm komme, trinke ich etwas, Hunger habe ich nicht (Und ich kann jetzt auch nachvollziehen, warum Hanna in der Schule sagte, dass Jungen während ihres Aufenthalts üblicherweise eher abnehmen). Dann mache ich mich daran, meine Sachen zusammenzusuchen. Viel verteilt habe ich nicht, alles ist auf mein Zimmer konzentriert, selbst Zahnbürste und Zahnpasta habe ich jeden Tag wieder in die Kulturtasche zurückgeräumt. So, als wäre es ganz selbstverständlich, dass ich die Sachen bald wieder zusammensuchen müsste.
Stuart kommt herein und fragt mich, ob ich mit einem der Lehrer über die Probleme gesprochen habe. Er habe nämlich einen Anruf aus der Schule erhalten. Ich verneine – meine Ansprechpartnerin an der Schule ist zwar auch meine Englischlehrerin, aber ich habe nicht als diese mit ihr gesprochen, sondern mit ihr als program managerin. Stuart meint ein wenig zynisch, dass das dann wohl jemand anders gewesen sein müsse.

Kurze Zeit später ist alles fertig gepackt, nur die Farmkleidung ist noch im Schrank. Ich brauche ein wenig mehr Platz als auf der Reise von Deutschland, das liegt aber daran, dass ich alles nur mehr oder weniger ordentlich in den Koffer verfrachtet habe. Ich setze mich in die Küche und warte auf Charlotte.

Jill kommt von der Arbeit und setzt sich zu mir. Sie fragt, ob ich die Gastgeschenke für meine nächste Familie mitnehmen wollen würde. Ich verneine – schließlich sind es Geschenke und mein Anstand sagt mir, dass sie hier bleiben sollen.
Dann erzählt sie mir, was sie schon viel früher hätte erzählen sollen: Was sie an mir stört. Und ich finde es verwunderlich, dass es sie stört, wenn ich, mit dem Essen fertig, während sie Zeitung liest und Stuart die Post bearbeitet, für einige Sekunden meinen PDA zücke und eine handschriftliche Notiz mache. Oder, dass es sie stört, wenn ich in meinem Zimmer sitze, wo sie und Stuart diejenigen sind, die nahezu den ganzen Tag arbeiten und damit nicht einmal greifbar sind. Und auch ein anderes Missverständnis kommt heraus: Mit „We don’t mind you using the phone.“ meinte Jill nicht, dass ich mit meiner CallingCard telefonieren kann, wenn das notwendig ist. Sondern dass ich, wenn ich von der Schule komme und einen Gesprächstermin mit meinem Vater abmachen möchte, bitte doch vorher extra deshalb nach draußen zu Stuart gehen solle, um ihn zu fragen.
Eigene Fehler räumt sie dabei nicht wirklich ein. Sie sagt zwar, dass es wohl auch möglich sei, dass die beiden welche gemacht hätten, aber sie hätten schließlich schon so viele Austauschschüler gehabt – auch erfolgreiche -, dass sie das für eher unwahrscheinlich hält. Dann muss sie nach draußen zu Stuart.
Ja ja, das ist alles so eine Sache mit der Kommunikation. Manchmal klappt sie und manchmal nicht. Hier wohl eher nicht.

Um viertel nach fünf fährt Charlotte auf den Hof. Ich sehe sie aus dem Küchenfenster zu mir herüberwinken und fragen, ob Jill und Stuart auf dem Hof seien. Ich bejahe und setze mich wieder hin.

Nach einiger Zeit kommt sie ins Haus. Es ist das erste Mal, dass wir uns sehen, bisher haben wir nur E-Mails geschrieben und telefoniert. Wir holen meine Sachen aus dem Zimmer und packen sie ins Auto. Jill und Stuart kommen herüber und wechseln noch einige Worte mit Charlotte. Ich habe das Gefühl, dass Stuart betont lässig wirken möchte, als gehe ihn all das gar nichts an und er habe Charlotte gerade beim Einkaufen getroffen. Dann ist es soweit, wir fahren los. Stuart hat nicht einmal geantwortet, als ich mich verabschiedet habe. Irgendwie stellvertretend für meine Erlebnisse in den vergangenen Tagen.

Wir fahren los und Charlotte beginnt zu erzählen. Sie erklärt mir, warum sie mich aus dieser Familie herausgeholt hat. Zum einen gäbe es Personen, die einfach nicht zueinander passen. Zum anderen seinen Jill und Stuart definitiv nicht froh gewesen mit dem, wie es war. Und dass ich mich in der Schule mitgeteilt habe, hätte bestätigt, dass auch ich nicht froh war. Sie erwähnte beiläufig, dass Stuart sie gebeten hätte, mich aus der Familie zu nehmen. Die nächste Zeit würde ich erst einmal bei ihr wohnen. Ihre zwei Töchter und ihr Mann wüssten allerdings noch nichts davon.
Meine positive Grundstimmung bekommt allerdings einen kleinen Dämpfer, als Charlotte mir mitteilt, dass mein Laptop und auch mein MP3-Player für drei Wochen erst einmal in ihrer Obhut verweilen würden. Damit, dass in ihrem Haushalt keine Gameboys existieren, kann ich da schon wesentlich besser klarkommen. Es sei allerdings alles nur zu meinem Besten, damit ich mich besser einleben könne. Jill hatte meine Aufenthalte in meinem Zimmer ihr gegenüber wohl angeführt.
Aber ich könne den Familiencomputer benutzen – für eine halbe Stunde am Tag.

Als wir uns Shepparton nähern, wird mir klar, dass das Leben hier doch etwas anders ist. Shepparton erscheint – trotz dessen, dass es dunkel ist – wesentlich größer und belebter als Numurkah und erst recht als Invergordon (wenn man dort überhaupt von Leben sprechen kann, von Tieren einmal abgesehen).
Ein Schulwechsel stünde nun an (und damit werden meine Befürchtungen Wirklichkeit), Charlotte wohnt direkt neben einer Schule mit einem Namen, den man sich nicht merken kann – irgendetwas mit „W“. SCCE hat bei der Schule angefragt und man warte nun auf eine Zu- oder Absage. Ich hoffe, dass ich an dieser Schule genau so gut aufgenommen werde wie in Numurkah und vor allem, dass die Fächer so gut passen. Ich bin sehr betrübt über den Wechsel. Ich mag die Lehrer, die Leute, den Unterricht und nicht zuletzt natürlich auch die Tatsache, dass mittwochs frei ist.

In meinem neuen Übergangszuhause wohnen neben Charlotte und ihrem Mann Grant noch zwei Kinder: Rush und Jol. Rush für Rushlee und Jol für Jolina. Eine weitere Tochter wohne nicht mehr zu Hause, sie ist schon 21.
Charlotte warnt mich vor, Rush würde nur eine Lautstärke kennen: laut. Und ich fühle mich ein wenig an Nathalie erinnert. Sie sagt auch, welche Behinderung Rush genau hat, aber der Begriff ist Englisch und ich kenne die Übersetzung nicht – meinen PDA habe ich zwar in der Tasche, möchte ihn aber ungern herausholen. Nicht, dass der sich auch noch für drei Wochen verabschiedet.

Mein einziger Job wird sein, mein Zimmer sauber zu halten, von einigen Gelegenheitsjobs abgesehen. Den Kontakt zu meinem Amateurfunkfreund würde Charlotte gerne sehen. In Sachen Essen und Trinken darf ich mir selbst helfen – und als sie die Wendung „may help yourself“ benutzt, die im Flyer von SCCE bei den empfohlenen Fragestellungen zum Einleben aufgeführt ist, fühle ich mich doch ein wenig wie in „der“ Musterfamilie für Austauschschüler. Charlotte hatte schon einige Austauschschüler und sagt deshalb selbst, sie kenne sich mit teenage boys aus.
Ich frage, wie das denn so mit Frühstück sei – die Antwort ist: „just help yourself when you get up“. In der Woche ist die Zeit des Aufstehens durch die Schule vorgegeben, samstags ist 10 Uhr in Ordnung, sonntags auch mal später.

Als wir ankommen, finden wir zwei Kinder vor: Die eine vorm Fernseher, die andere am Computer. Rush einzuschätzen ist schwierig, ich halte sie zunächst für die Jüngere der beiden.
Charlotte zeigt mir mein Zimmer, es ist das Zimmer ihrer größten Tochter. Es ist in Blau gehalten, nur an einer Wand sind neben blauen auch rosane und grüne Farbstreifen zu finden. Groß ist es nicht und auch nicht übermäßig voll: Ein Holzbett steht darin und einen Wandschrank gibt es auch, in dem ich einige Fächer erhalte.
Im Haus gibt es ein paar Tiere. Der Hund, „Anger“, mag mich – ich ihn auch, obwohl er etwas klein ist und viel zu viel Fell hat. Zumindest im Vergleich mit einem Labrador. Bei den Goldfischen bin ich mir nicht so ganz sicher, wie sie zu mir stehen.

Charlottes Hund 'Anger'

Charlottes Katze

Schon kurze Zeit später fahren wir los, Charlotte nimmt mich mit in die Bibliothek. Dort gucke ich mich ein wenig um (und bemerke als erstes die Internetarbeitsplätze). Dann suche ich mir ein Buch, zunächst soll es ein englisches sein. Ich entscheide mich für eines aus der Abteilung für Teenager: „Ads ‚r‘ us„. Dann stöbere ich noch ein wenig in dem Regel für deutsche Bücher, wo auch einige interessante Werke verweilen. Anscheinend hat jemand kürzlich einige aktuelle Bücher bestellt.
Jol und Charlotte finden auch etwas zu lesen, dann fahren wir wieder zurück. Durch das dunkle Shepparton, am Fluss entlang.

Zurück zu Hause gibt es erst einmal Essen: Ganz klassisch englisch – Grant hat „fish and chips“ geholt. Leckere Sache und passt recht gut in meinen europäischen Geschmack. Danach ist erst einmal Big Brother dran.

Als ich danach kurz nach acht Uhr ins Bett gehe, denke ich über den Tag nach. Ein schwieriger Tag, alles nicht so ganz einfach. Ich bin mir unsicher, wie ich mit der Tatsache, dass ich nun hier wohnen soll, umgehen soll. Ich überlege, ob ich lieber darum hätte bitten sollen, das Angebot von heute Vormittag annehmen zu dürfen. Und über all diese Überlegungen sinke ich in den Schlaf.

ein Tag voller Erlebnisse *hust* uups, Blitzhusten

Donnerstag, den 19. Juli 2007

Ich bin früh wach wie üblich, aber heute höre ich den sechs Uhr elf Ton irgendwie nicht.
Heute wird mein erster Tag in der Schule sein, gestern habe ich schon meine Uniform herausgelegt und von allen Preisschildern befreit und einen Block, meine Federtasche und den student planner eingepackt. Jetzt fällt mir ein, dass ich auch noch einen Taschenrechner brauchen könnte. Das blöde ist nur, dass ich den Krams nicht einfach irgendwo lassen kann, ich habe noch kein Schloss für mein Schließfach (ich habe ja auch noch kein Schließfach). Und außer in Mathematik soll ich ihn auch nicht mit in den Raum bringen. Blöde Zwickmühle.
Ich denke noch ein wenig darüber nach und packe unterdessen Geld aus, das Kleingeld (immerhin fünf Dollar fünfzehn) muss für heute reichen, morgen sehen wir dann weiter. Was ich mit meinem PDA mache, ist mir auch noch nicht so ganz klar, aber ich glaube, ich werde ihn mitnehmen. Kommt drauf an, ob er in die Tasche passt.
7.26 Uhr. Wenn es in Deutschland so spät wäre, würde ich gerade in den Bus einsteigen. Hier bleibt mir noch fast eine Stunde Zeit. Ich denke daran, dass MP3-Player in einigen Unterrichtsstunden erlaubt sind und entscheide mich gegen meinen PDA und für meinen MP3-Player. Da Jill noch immer im Badezimmer ist, verharre ich mit meinem Laptop im Bett.
Ein paar Minuten später schwinge ich mich aus dem Bett, ziehe meine Schuluniform an und suche die letzten Sachen zusammen. Zwischen zehn vor acht und fünf vor acht klopft Jill an und fragt, ob ich nichts frühstücken wollen würde, es sei schließlich schon kurz vor acht. Ich verneine, ich habe keinen Hunger. Ein paar Minuten im Bad, dann mache ich mir zwei Toasts mit Erdnussbutter. Ich frage Stuart, wie ich die beiden am besten zur Schule kriegen würde und er gibt mir eine kleine Plastiktüte. Um viertel nach acht verabschiede ich mich von den beiden – in der Gewissheit, dass die Uhr einige Minuten vorgeht und bepackt mit Müll für die Recycling-Tonne. Heute stünde die Tonne vorne an der Straße, sagt man mir und so gehe ich nach vorne. Während ich das tue – und mir das leere Erdnussbutterbehältnis herunterfällt, sehe ich einen Schulbus vorne an der Straße vorbeifahren. Ich entziffere die Aufschrift und stelle fest, dass er zu einer Grundschule fährt. Vorne angekommen werfe ich den Müll in die Tonne und gerade, als ich das tue, sehe ich einen anderen Bus auf mich zurauschen. Ich reiße den Arm hoch, aber der Bus fährt weiter. Scheiße, denke ich. Jill hat gesagt, ich müsse ihr Auto waschen, wenn ich den Bus verpassen würde und sie mich zur Schule fahren müsste (Stuart ergänzte, dass ich es mit der Zahnbürste tun müsste.) und das steigert meine Laune nicht umbedingt. Ich bleibe noch draußen stehen und überlege mir, wie ich es den beiden erklären soll. Mir fällt auf, dass ich bedauerlicherweise nicht einmal eine Uhr trage oder dabei habe, um zu überprüfen, ob ich wirklich zu spät bin.
Dann aber erscheint am Horizont (na ja, fast am Horizont) die Rettung, ein weiterer Schulbus biegt auf die Straße ein, an der ich stehe. Und dieser hält. Ein freundlicher Busfahrer guckt mir entgegen, meint, ich solle mir nur einfach hinten einen Sitz suchen und fährt dann weiter.
Ich setze mich in eine der leeren Reihen in der Mitte des Busses. Hinter mir sitzen die Schüler der Numurkah Secondary School, vor mir die der Primary School. Zusätzlich zu dem ohnehin schon recht lauten Grundgeräuschpegel ertönt aus den Lautsprechern im Bus Radiomusik. Gute Musik, keine Frage, der selbe wie den, den ich an meinem Radio eingestellt habe. Nur halt etwas ungewohnt.
Zwei Ecken weiter wundere ich mich, warum Samira nicht an der Straße steht. Doch der Bus fährt einen komischen Weg – oder vielmehr Umweg -, so dass ich mir vorstellen könnte, dass er später an der gleichen Stelle noch einmal vorbeikommt.
Wir fahren noch eine ganze Zeit umher, picken weitere Schüler auf und lassen andere aussteigen, bevor wir an meiner Schule ankommen. Ich gehe zielstrebig über den Schulhof und zum Sekreteriat, um dort meine Unterlagen abzugeben. Die Beratungslehrerin, die mit uns auch schon die Fächer ausgesucht hat, ist noch im allmorgendlichen staff briefing im Lehrerzimmer, also nehme ich noch für einige Minuten Platz.
Dann sehe ich plötzlich Samira von ihrem Gastvater zur Schule gebracht werden und zur gleichen Zeit ist auch das staff briefing zu Ende. Chiara (ich bin mir noch immer nicht ganz über die Schreibweise im Klaren), die italienische Austauschschülerin, und Samira bekommen ihre buddies – meiner ist nicht da und taucht auch nicht auf, als er ausgerufen wird. Also werde ich von der Beratungslehrerin zur homegroup gebracht, einer Art Zusammenkunft für organisatorische Zwecke jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn. Dort sitzt auch mein buddy – und hat zwei „Stöpsel“ seines Ipods im Ohr, was erklärt, warum er nichts gehört hat.
Da die homegroup jahrgangsübergreifend besteht und es an diesem Morgen augenscheinlich nichts von wirklicher Bedeutung zu besprechen gibt, ist eher eine Art freien Plauderns in gedämpfter Lautstärke an der Tagesordnung.
Für die ersten zwei periods steht Mathe auf dem Stundenplan (der übrigens sehr interessant aussieht so ohne Mittwoch). Ich bin in den höchsten von drei verschiedenen Mathekursen eingestuft, der gleich im Raum nebenan stattfindet. Das Thema ist interessant: Trigometrische Funktionen, also genau das, was wir in den letzten Monaten rauf und runter gemacht haben. Die Stunde verbringe ich damit, einige Sachen erklärt zu bekommen, die ich ohnehin schon weiß und damit, einige fehlende Seiten in Dreiecken auszurechnen.
Während all dessen läuft immer wieder eine „Elefantengruppe“ vorbei, auf der anderen Seite der Wand ist die Turnhalle und dort scheint eifrig gestampft zu werden, der Lärm ist stellenweise schon fast ohrenbetäubend.
Danach stehen zwei Stunden Englisch an, wobei Englisch hier eher so etwas ist wie es Deutsch in Deutschland ist: Ein Fach, in dem vor allem die Themenarbeit im Vordergrund steht. Und hier ist es für die nächste Zeit ein Thema, das sich mit verschiedenen Zukunftsvisionen befasst. Zunächst sprechen wir über George Orwells 1984 (oder vielmehr die Lehrerin spricht, außer mir kennt das Buch nämlich keiner, wobei ich zugegeben muss, dass ich es auch nicht gelesen habe), dann über einen Herren namens Aldous Huxley, der das Buch „Brave New World“ geschrieben habe und darin die von Ford eingeführte Massenfertigung am Fließband auf die Fortpflanzung des Menschen übertragen habe und schließlich – tadada – über Gattaca, einen Film aus der jüngeren Zeit, in dem es, grob gesagt, um Diskriminierung aufgrund von Erbanlagen geht und daraus resultierende Situationen geht. Und genau diesen Film habe ich schon drei Mal gesehen, das letzte Mal im Religionsunterricht, was ein Grund dafür ist, weshalb ich ihn auch schulisch schon eingehend beleuchten konnte. Um so besser für meinen Start hier in Australien, dass ich den Stoff schon kenne – und interessant ist es allemal, einen Film in seiner Originalsprache zu sehen, wenn man sich nicht die ganze Zeit darauf konzentrieren muss, die Handlung zu verstehen.
Den Film sehen wir übrigens über den Beamer, der in jedem Raum an der Decke angebracht ist. Faszinierende Geschichte; Boxen gibt es übrigens auch entsprechend zwei neben der Projektionswand.

Nach vier Stunden mehr oder minder harter Arbeit folgt die große Mittagspause, eine Stunde lang. Von meinem Buddy war schon nach den ersten zwei Stunden nichts mehr zu sehen und so sitze ich, wie auch in der ersten Pause schon, mit der vorherigen Austauschschülerin auf dem Hof von Jill und Stuart und ihrem Freundeskreis zusammen. Mehrmals bemerke ich erstaunt, dass es nur Mädchen sind, aber mir dünkt, die sind einfach kommunikativer und auch integrativer (hoffentlich gibt es dieses Wort überhaupt in dieser Bedeutung).
Die letzten beiden Stunden bedeuten für mich ein wenig Entspannung, Informatik steht an und ich bekomme nicht nur meinen Login für das Schulnetz, sondern auch die Möglichkeit, nahezu die ganzen zwei Stunden im Internet zu surfen, während ich mich nebenbei noch ein wenig dem Pseudocode widme, der dafür sorgen soll, dass eine Tasse Kaffee fertig wird oder ein Roboter den Weg von einem Tisch zur Tür findet. Eine Woche ohne Internet bleibt nicht ohne Spuren, elf neue Kommentare in meinem Blog und sechshundert E-Mails, das meiste davon Spam.

Es gibt im Leben nur wenige Momente, die mir vollständig die Sprache rauben. Heute war einer davon. Ich komme um kurz nach vier Uhr nach Hause, ein wenig gestresst vom ersten Tag in der neuen Schule ohne Fünf-Minuten-Pausen. Ich gehe ins Haus, trinke eine Honigmilch und esse zwei Toasts, quasi ein verspätetes Mittagessen. Dann versuche ich, meinen Vater in Deutschland zu erreichen und vereinbare mit ihm ein Telefonat für morgen früh. Danach tausche ich meine Schuluniform (das Hemd ist übersät mit blauen Flusen, weil der Pulli noch nicht gewaschen wurde) gegen Farmkleidung und gehe nach draußen, um Holz zu holen, der Wagen ist nämlich fast leer. Ich sehe, dass Stuart anscheinend welches gehackt hat, einige frische Scheite liegen auf dem Rasen. Ich packe große und kleine in den Wagen, wie üblich, bringe ihn dann zur Eingangstür und gehe dann zu Stuart. Auf mein „Hi“ erfolgt nur ein „Did you miss the bus?“. Ich denke über den Weg zur Schule nach, dann über den von der Schule und verneine. Was ich denn dann die ganze Zeit gemacht hätte, fragt er, jetzt sei er längst fertig. Holz geholt, entgegne ich, es sei nämlich keines mehr im Wagen gewesen und das Feuer wäre auch nahezu aus. Ob ich überhaupt Holz hacken könne, fragt er, ich würde schließlich immer eine Mischung aus kleinen und großen Stücken bringen. Ich schaue verwirrt, schließlich hat Jill mich gerade gestern gebeten, größere Holzstücke zu holen und selbst da habe ich mich schon gewundert, weil Stuart, als er mir es erklärte, sagte, ich solle zwei oder drei große (von mir aus auch drei oder vier, den großen Unterschied macht das nicht) Stücke mit kleineren Mischen. Vielleicht definieren wir klein und groß auch einfach anders, wundern würde es mich nicht sonderlich. Er fragt erneut: „Can you split wood? Simple question: Yes or no?“ – ich würde ihm gerne erklären, dass ich nur die kleineren der größeren Stücke zerteilen kann, aber mir bleibt aufgrund der – leicht, aber nur leicht, ganz leicht suggestiv angehauchten – Fragestellung nichts anderes übrig, als zu antworten: „Then no.“
Darauf folgt der Teil, der mich sprachlos macht. „Fuck off“ ist dabei noch eines der freundlicheren Worte und ich glaube, ich kann froh sein, nicht alle Wörter zu verstehen. Stuart schickt mich ins Haus. Ich gehe, ungläubig den Kopf schüttelnd. Es ist für mich absolut indiskutabel, dass man bei solche einer vergleichsweise banalen Begebenheit einen Austauschschüler, der gerade einmal eine Woche bei einem und zudem durch seinen ersten Schultag zusätzlich belastet ist, nicht mit einer derartigen Vulgärsprache beschimpft. Drinnen rufe ich bei meiner local coordinatorin an. Sie ist nicht zu Hause, dafür aber jemand anders. Ich bitte, eine Nachricht zu hinterlassen, dass wir sprechen müssten und ich heute Abend oder in den nächsten Tagen nochmals versuchen würde, sie zu erreichen. Auf die Nachfrage, ob sie mich zurückrufen solle, wenn sie nach Hause käme, entgegne ich, dass ich nicht wüsste, ob ich dann (frei) sprechen könne. Als ich dann noch sage, dass ich bei der Familie Cameron bin, scheint sich meine Gesprächspartnerin nicht mehr zu wundern.
Ich unterdessen fühle mich immer mehr als farm hand. Und anscheinend wird von mir auch noch erwartet, dass ich qualifiziert bin. Wenn ich bei etwas nicht sofort schreie „Nein, ich kann das nicht!“, sondern es erst einmal versuche(n möchte), dann legt man mir das hinterher negativ aus.

Ich setze mich in mein Zimmer an den Laptop, und die Ereignisse des Tages festzuhalten. Dann kommt Jill nach Hause, klopft an (ich habe zwischenzeitlich die Tür geschlossen) und fragt mich, ob ich Stuart gefragt habe, ob ich etwas für ihn tun kann. Ich schildere ihr die Vorkommnisse – und ringe dabei ein wenig um Fassung. Sie scheint fast ein wenig vertraut mit solchen Situationen, sagt nur „I’m gonna talk to him soon“ und entschwindet.
Ich sitze weiter an meinem Laptop, dann klopft Jill wieder an und sagt, dass Essen fertig ist. Ich sage, dass ich nicht hungrig bin und als sie dann fragt, auch, dass ich im Moment nicht sicher bin, ob ich mit den beiden sprechen möchte. Sie sagt, dass wir schon darüber sprechen müssen und ich meine, wir sollten das dann nach dem Essen tun. Jill fragt, ob ich Charlotte als meine Koordinatorin mit einbeziehen wollen würde, ich teile ihr mit, dass ich sie bislang noch nicht erreichen konnte und nicht wisse, wann sie wiederkommt. Jill entschwindet wieder und ich höre Stuart ihr irgendetwas entgegen murmeln.
*klopf klopf* kurze Zeit später ist sie wieder da, Charlotte sei jetzt am Telefon. Ich seufze ein wenig (hatte ich doch gebeten, nicht zurückzurufen), aber das Problem löst sich relativ einfach, weil Jill mir Privatsphäre zugesteht, indem sie die Schiebetüren zum Raum neben der Küche schließt.
Ich erläutere Charlotte die Problem, schön wie im Deutschunterricht gelernt bei den kleineren beginnend bis zum großen Höhepunkt „Fuck off“ und sie beginnt schon bei den kleinen Wehwehchen von Kulturschock zu sprechen. Den Eklat heute Nachmittag versucht sie damit zu erklären, dass Australier eine andere Weise hätten, sich auszudrücken und degradiert ihn zu einem Missverständnis. Ich hätte ja nicht sofort geantwortet, Stuart hätte davon ausgehen müssen, dass ich ihn nicht verstehe. Ich sage ihr, dass es Punkte gibt, über die man nur hinausgeht, wenn man es möchte und dass ich der Überzeugung bin, dass dies ein solcher Punkt war und der Wille da war. Ich erzähle ihr noch einige andere Sachen und sie bittet mich um Kommunikation und die Beobachtung der australischen Lebensweise. Dann möchte sie mit meinen Gasteltern sprechen, Stuart scheint sich berufen zu fühlen und steht auf.
Durch die Wand höre ich nur „everyday, everyday, everyday!“ und habe nicht den Eindruck, dass er sich gerade positiv über mich äußert. Nach zehn oder fünfzehn Minuten kommt er wieder ins Wohnzimmer ohne etwas zu sagen. Wir drei gucken stillschweigend weiter Fernsehen und ich denke darüber nach, ob und wenn ja wann wir denn nun miteinander reden wollen, bis Jill fragt, was denn nun bei Stuarts Gespräch mit Charlotte herausgekommen sei. Sie würde nach einer anderen Gastfamilie für mich suchen, sagt er. Und morgen anrufen und eventuell vorbeikommen. Als er wieder in die Küche geht, fragt Jill mich: „Did you ask to leave?“ und ich antworte wahrheitsgemäß mit „No, I did not“. Gleichzeitig fühle ich aber, wie mich ein wohlig warmes Gefühl durchströmt bei dem Gedanken an einen Gastfamilienwechsel. Ich finde, das ist irgendwie ein Zeichen.
Als Big Brother endlich zu Ende ist, gucken wir eine neue Folge der Piratenserie, die sich inhaltlich fast vollständig mit der vorhergehenden deckt. Jill fragt mich, ob ich lieber etwas anderes sehen würde und ich meine, dass sie das ruhig aussuchen könne, schließlich würde ich beide Serien, die derzeit liefen, noch nicht kennen.
„Pirates Master“ läuft länger, als es die anderen Serien tun und Jill geht um viertel nach acht ins Bett. Ich bleibe noch ein wenig, damit es nicht so aussieht, als flüchte ich und gehe dann auch in mein Zimmer. Zu müde und auch zu gestresst, um noch am Laptop den Tagesbericht fertigzustellen, falle ich in mein Bett, den Wecker auf fünf vor sechs gestellt.


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